Der Wind ist weitestgehend weg, es ist ruhig im Hafen, das Wasser kräuselt nur ganz leicht. Wir sind früh - geduscht und gefrühstückt nehmen wir um 10:15 Uhr die Leinen von der Minna und richten den Bug in Richtung Fehmarnsundbrücke.
Fehmarnsundbrücke
Bis zur Brücke schiebt der Perkins, danach ziehen uns die Segel mit Macht nach Grömitz. Um die fünf Bft. haben wir aus West bis Nordwest. Bei wenig Welle geht es mit bis zu sieben Knoten in südliche Richtung. Ein gemütlich schöner, wenn auch kurzer Segeltag. Frau Cornelia ist zufrieden. Es hat gar nicht geschaukelt.
auf dem Weg nach Grömitz
Um 15:00 Uhr sind wir fest am Außensteg, kaum ist der letzte Kopfschlag gemacht, klingelt das Telefon: Anneken samt Kindern ist eingetroffen und fragt nach unserem Standort. Ein Fingerklick von Frau Cornelia genügt - schon ist das Kind umfassend informiert. Das Leben ist so einfach heute - keine langen Erklärungen, keine Missverständnisse, keine Nachfragen - ein winziger Tastendruck und alle Informationen sind Metergenau übermittelt.
Wie bloß haben wir zusammengefunden, damals in Falkplan-Zeiten: da gehst Du links, dann bis zu dem Vorgarten mit den gruseligen Zwergen, erkennst Du sofort. Danach die Zweite rechts und dann, dann siehste schon. Bis gleich!
Ging auch. Vielleicht nicht ganz so gut, schulte aber das Orientierungsvermögen nachhaltig. Heute sind andere Fähigkeiten gefragt. Vermutlich ist das kleinteilig erlebte Evolution.
Sei es drum, die beiden Kurzen sind schnell vom hoch über dem Schiff liegenden Steg an Bord gehoben, Abendessen gibt es später im "Falkenthal Seafood". Wir sind zufrieden, das Essen ist gut, das Mädel an der Bestellannahme unglaublich flink. Es ist ein besserer Imbiss - ich kann ihn empfehlen, obwohl, Schnäppchenpreise haben sie nicht dort.
Der neue Tag vergeht fix mit Strandbesuch, Paddeln auf dem SUP, einem langen Marsch über die unendliche Promenade und einem gemütlich turbulenten Abendessen auf dem Boot. Okay, der Opa ist nicht ausschließlich überglücklich, wenn die pommesfetten Fingerchen des knapp Dreijährigen mit unerklärlichem Automatismus immer wieder den Weg in die Sitzpolster finden. Komisch, zuhause stört mich das kaum. Okay, zuhause ist auch nicht Schiff!
Verlegen mussten wir uns am Nachmittag noch, die Wassertanks waren beinahe erschöpft. Der einzige Schlauch an der deutlich 100 Meter langen Mole war um einiges zu kurz. Der neue Platz am Kopf eines Steges war erheblich schöner, Aus- und Einstieg ins Schiff waren plötzlich ohne jede Akrobatik möglich. Ein Gewinn, der allerdings den Hafenmeister am nächsten Morgen irritierte. Ein Anruf durch Frau Cornelia im Hafenbüro löst die Irritationen auf. Der strenge Hafenwächter ist versöhnt und verzichtet auf die schriftlich angedrohte Nachberechnung.
21. - 23. Juli 2021
Kind und Enkel reisen gegen Mittag in die Heimat, wir Alten planen einen Hafen, den wir noch nicht kennen. Um 13:00 Uhr starten wir nach Niendorf, es wird eine kurze, zwölf Meilen weite Reise. Auf halber Strecke kackt der Bordrechner ab. Die Navigation stoppt unvermittelt. Mit einem Neustart ist das kleine Problem vorläufig behoben. In Niendorf allerdings will uns niemand haben, die wenigen Liegeplätze in den drei winzigen Häfen sind belegt - alle. Schade!
Der Hafenmeister in einer der Anlegestellen tröstet uns mit einem freundlich zugerufenen:
"Vielleicht ein andermal."
der Bordrechner kackte ab wegen eines GPS Rollovers
Unser Ausweichziel ist nach kurzem Überlegen der Fischereihafen in Travemünde. Um 16:45 liegen wir auf einem der letzten Liegeplätze am Außensteg. Wir kennen den Hafen und mögen ihn recht gern.
Auffällig in diesem zweiten Coronasommer: Die Häfen sind meist rappelvoll, auf dem Wasser hingegen ist wenig los. Nur an den Wochenenden wird es gewöhnlich etwas voller. Komisch oder?
Ich sitze und schließe am frühen Abend mein handgeschriebenes Logbuch für den Tag ab. Dabei wird mir klar, warum am Nachmittag der Rechner abstürzte: Mein altes Furono GPS-Gerät hatte einen Datums-Roll-Over und geht ab sofort davon aus, dass wir uns im Dezember des Jahres 2001 befinden. Umzustimmen ist es nicht. Ich hab's versucht - mit meinen beschränkten Möglichkeiten.
Zur Erinnerung, genau zu Beginn dieses Jahres 2001 wurde von DM auf Euro umgestellt. Ich bin sicher: ein kausaler Zusammenhang der Ereignisse ist auszuschließen.
Wie auch immer, da wird ein neues Gerät hermüssen, ich möchte unbedingt, dass der Rechner sein eigenes, unabhängiges GPS-Signal bekommt. André wird Rat wissen. Für den Übergang hole ich mir das Signal vom AIS. Funzt auch, aber ich bin nun mal schrullig und werde das zurückändern.
Die beiden nächsten Tage vergehen wie im Fluge, wir ersetzen wieder einmal unsere Gasflasche der weltweit operierenden Firma "CampingGaz" für günstige 30 Euro pro 2,7 kg Butangas, ergänzen unsere Lebensmittelvorräte bei einem, unter anderem in der Schiffsausrüstung tätigen Unternehmen namens "Albrecht" und radeln munter durch die Gegend.
Eine Tour führt uns an's andere Ufer der Trave. Aus purer Unwissenheit prelle ich die städtischen Beförderungsbetriebe um einen guten Teil des Fahrpreises und löse für die Überfahrt mit der Fähre nur Fahrradbeförderungskarten. Richtig wäre es gewesen, zusätzlich Karten für die gewöhnlich auf dem Fahrrad sitzenden Personen zu lösen. Mein Fehlverhalten sorgt für ein Defizit von genau drei Euro in den Kassen der Gemeinde. Später für die Rückfahrt werde ich mit der kundigen Hilfe von Frau Cornelia den kompletten Fahrpreis entrichten. Diese modernen Automaten, es muss einmal öffentlich gemacht werden, sind aber auch nichts für alte Leute - zu unübersichtlich, zu verwirrend, zu wenig Benutzerunterstützung durch die in die Geräte gepresste Software.
Die Radtour auf der östlichen Seite der Trave führt uns unter anderem an die ehemalige "Zonengrenze", oder für DDR-Hardliner, an die Staatsgrenze zur ehemaligen DDR, DDR natürlich ohne Anführungszeichen. Von der Grenze und den todbringenden Anlagen dort ist tatsächlich nichts mehr zu erkennen. Lediglich eine verschämte Hinweistafel mit ein wenig erklärendem Text finden wir.
Hinweistafel auf die deutsch-deutsche Grenze Pöttenitz - Priwall
Ich persönlich bin der Meinung, dass deutlich mehr Erinnerungskultur, gern in diesem Fall auch drastisch in Form von erhaltenen Grenzanlagen, an solch neuralgischen und vielbesuchten Punkten nicht schaden könnte.
Dazu eine skurril bittere Erinnerung aus persönlich Erlebtem: Im familiären Umfeld wurde vor vielen Jahren, aber deutlich in den 2000ern, über die jüngere Vergangenheit Europas gesprochen. Die Rede kam auch auf die Deutschland bis 1989 trennende Mauer. Es stellte sich die Frage, wer denn dieselbe gebaut, veranlaßt habe. Sie wurde merkbar unsicher beantwortet mit einem fragenden
"Hitler?"
Ein klares Versäumnis sowohl meinerseits, als deutlich auch der Schulen, die Geschichte, insbesondere jüngere, wie schon zu meiner Schulzeit, offensichtlich noch immer höchst unzureichend vermitteln.
Die weitere Radtour ist angenehm entspannend, sie führt durch waldige Landschaft und vorbei an duftenden Wiesen und Feldern. Ein Glück, wenn man so wie wir, über elektrifizierte Bordfahrräder verfügt, auch wenn das neuere noch nicht ganz so läuft, wie Frau Cornelia sich das wünscht. Vom Fahrradversender fehlt uns noch immer Nachricht darüber, wann mit welchen Ersatzteilen zu rechnen ist. An sich hätte ich vermutet, dass Reklamationen von diesem, an sich gut besprochenen Händler, zügiger bearbeitet werden. Der telefonische Kontakt vor knapp zwei Wochen war vielversprechend positiv. Es fehlt lediglich bislang an der Einlösung der gemachten Zusagen.
Kulturlandschaft am Priwall
Was uns auf dem Wasser nicht gelang, erledigen wir dann auch noch per Rad, wir besuchen Niendorf auf dem Landwege. Wie schon der Hafen hat vermuten lassen, stellt sich der Ort als eher kleines, der hier in der Region zuhauf zu findenden Ostseebäder heraus. Wirklichen Charme suchen wir vergeblich.
Strand in Niendorf
Der Besuch eines Café/Restaurantbetriebes am Hafen ernüchtert. Nachdem wir genötigt wurden, für den etwa einmeterfünzig langen Weg zum Tisch direkt am Eingang zur nahezu menschenleerenTerrasse Masken aufzusetzen, eröffnet der Kellner des Cafés "Hafenblick" ohne jedweden Hafenblick uns völlig selbstverständlich und augenscheinlich angewidert, Kuchen oder Torte, nein, so etwas führe man nicht. Wir nehmen es ihm übel, stornieren die Bestellung von zwei Pötten Kaffee und verlassen die Terrasse - ohne Maske. Nicht sehr viel weiter stoßen wir auf ein Café, dass tatsächlich Kuchen im Programm führt. Hier offensichtlich ist die Bedeutung der Bezeichnung "Café" für ein Lokal bekannt und wird entsprechend umgesetzt.
diese Haus firmiert als Restaurant und Café, Kuchen, Gebäck und Torten werden aber nicht vorgehalten
Kurz zu den Masken: Wir, weder Frau Cornelia noch ich, der Steuermann, sind Gegner der Maskentragepflicht, gleichzeitig sind wir vehemente Befürworter von Impfungen und zwar weltweit. Anders werden wir, die Weltgemeinschaft, der Pandemie nicht wirklich herr werden können und hier haben wir, die hochindustralisierten und unendlich reichen Länder eine besondere Pflicht dem ärmeren und über jahrhunderte ausgebeuteten Rest der Welt gegenüber. Leider nehmen wir diese Pflicht noch immer sehr unzureichend wahr.
Aber, es sollte schon verhältnismäßig, klug und mit Augenmaß zugehen. Sonst leidet die Akzeptanz. Zu unser aller Schaden! In gut durchlüfteten und nur gering frequentierten Außenbereichen sind Masken Quatsch und überflüssig, kontraproduktiv sogar, denn merke, der billig denkende Mensch sieht die Welt häufig so: Erzählst Du mir in einem Punkt Mist, trau ich Dir bezüglich des großen Restes auch nicht über den Weg. Meine Meinung!
Das Abendessen an unserem dritten Travemündeabend ist eine Katastrophe, wenig schmackhaft und grottenschlecht lustlos serviert, den Namen des Lokals habe ich verdrängt.
24. / 25. Juli 2021
Ich war schon mal dort, für Frau Cornelia betreten wir heute Neuland, wir werden nach Neustadt gehen. Vor vielen Jahren habe ich gemeinsam mit Freund Jörg den Hafen schon einmal besucht. Damals lagen wir direkt vor der Brücke, einlaufend auf der linken Seite. Von der Stadt sahen Jörg und ich nichts.
ganz hinten links lag ich mit Freund Jörg vor vielen Jahren
Um zehn nach elf verlassen wir Travemünde, zwei Stunden später sind wir fest am hintersten der Stadtstege und der Innenstadt damit unglaublich nahe. Die Platzwahl rächt sich, als wir bei glühender Sonne gemeinsam zum Hafenmeister laufen um das Liegegeld wegzubringen. Der Weg zieht sich unendlich und endet schließlich in einem kurzen aber steilen Anstieg zum Hafenmeisterbüro. Hinein in das Büro können wir nicht. Zwei weitere Parteien warten schon auf Einlaß. Aus der weit offenen Tür dringen leise Stimmen. Worum konkret es geht, ist nicht zu verstehen, was wir aber deutlich merken, ist, dass es dauert. Für mich willkommene Gelegenheit nach dem steilen Aufstieg und der langen Wanderung wieder zu Atem zu kommen.
alpiner Aufstieg zum Hafenmeisterbüro
Irgendwann tritt ein mittelgroßer Mann aus der Tür, atmet sichtbar auf, wünscht uns Wartenden "Viel Vergnügen" und geht seiner Wege. Die nächste Gruppe bestehend aus zwei Personen ist dran, nach guten zehn Minuten verlassen die beiden das Büro, sie machen einen erschöpften Eindruck, werfen noch einen mitleidigen Blick auf die inzwischen veritable Warteschlange und gehen schleppenden Schrittes davon. Ich bin wieder gut bei Atem, ein Herr ist noch vor uns.
Nach insgesamt guten dreißig Minuten dürfen wir eintreten. Ausnehmend freundlich werden wir von der etwa vierzigjährigen Hafenmeisterin empfangen und direkt im Anschluß ausführlich befragt: Woher, wohin, wie lange, Schiffslänge, Schiffsbreite, Schiffsname, Heimathafen, Anschrift des Eigners, natürlich auch die Telefonnummer, Alter ("Des Schiffes?", "Nein Ihres"), und vieles mehr. Alle Antworten werden von der freundlichen Dame akkurat und mit der gebotenen Ruhe in einen bereitstehenden Rechner eingetippt und auf einer vermutlich unendlich großen Festplatte für alle Zeiten gelagert. Nie im Leben bin ich bislang so inquisitorisch befragt worden, wenn ich um einen Liegeplatz für zwei lächerliche Nächte nachfragte. Hier in Neustadt macht man keine halben Sachen.
Zum glücklichen Ende hin müssen wir pro Nacht einundzwanziug Euro abgeben, bekommen einen DIN-A6 großen Beleg ausgehändigt, auf dem weder der Schiffsname, trotz langsamen Buchstabierens meinerseits, stimmt, noch die Liegeplatznummer richtig angegeben ist. Reklamieren tun wir die kleinen Fehler nicht. Unter keinen Umständen möchten wir den dann berechtigten Hass der draußen inzwischen in großer Menge Wartenden auf uns ziehen. Stattdessen danken wir herzlich für die freundliche Bedienung und trällern draußen ein freundliches: "Der nächste bitte." Auf uns wartet nur noch der lange Marsch zurück zur Kohinoor.
In der Folge haben wir Riesenglück, beinahe ohne Wartezeit bekommen wir einen gefährlich schief stehenden Tisch mit in gleiche Richtung geneigten Bänken im "Waterkant" direkt am Hafen. In jeder Beziehung ein Treffer, wir essen gut und werden ausnehmend nett bedient. Die völlig verbogenen Wirbelsäulen nehmen wir ohne Murren in Kauf, sie lassen sich unter ärztlicher Anleitung richten.
In diesem Jahr muss man unendlich dankbar sein, wenn man überhaupt in einem Restaurant vorgelassen wird ohne ruinös horrende Bestechungsgelder gezahlt zu haben.
Neben der großen "Ancora-Marina", man kann sie getrost links liegen lassen, außer es besteht die Absicht zu tanken, bietet Neustadt einen gemütlichen Hafen, der, wenn ich es richtig begriffen habe, von der Gemeinde betrieben wird. Er liegt einlaufend rechter Hand, besteht aus mehreren Stegen und verläuft paralell zum "Unterer Jungfernstieg". Nette Nebenlieger haben wir in unserer Box, sie haben sich als völlige Schiffsnovizen gleich ein schicke 39er Najad geschossen. Jeder macht es wie er denkt.
das Waterkant
In Hafennähe liegen etliche gemütlich anmutende Lokale, vom "Waterkant" berichtete ich schon. Sie machen fast ausnahmslos einen einladenden Eindruck. Das Stadtzentrum überzeugt uns nicht restlos, es ist in keinem Fall mit beispielsweise Wismar vergleichbar, weist zum Trost eine recht imposante evangelische Kirche auf, für manchen mag das wichtig sein. Wir bleiben zwei Nächte.
26. Juli 2021
Ich vergaß zu berichten, Sohn Philip rief an, will uns besuchen für einen Tag und eine Nacht. Wir verabreden uns in Wismar, einem unserer Lieblingsorte in der Ostsee, auch des "Il Casale" wegen.
Gegen halb zehn gehen wir zum Tanken in die "Ancora Marina", ein bisschen Diesel mal wieder kann nicht schaden, wir fahren schon auf dem zweiten Tank - bei mir löst das Umschalten auf den zweiten Tank Panik aus, ich kann es nicht ändern. Wir wählen den Diesel für 1,55 - es gäbe auch welchen für exakte 1,70 ohne Bioanteil. Um 10:00 Uhr sind wir durch, der Tankwart ist ein netter Kerl. Der Perkins hat die Sache wirklich gut gemacht in den letzten Wochen, nur 3,33 Liter hat er geschluckt pro Stunde. Inklusive des Verbrauchs für den Power-Block.
ein Kollege auch in östliche Richtung unterwegs
Wir sind schnell, haben einige schöne Segelstunden. Auf dem AIS sehe ich kurz vor Wismar die Bruty. Mit dem Eignerehepaar hatte ich um Weihnachten herum netten Email-Kontakt. Sie gaben mir einige sehr nützliche Tipps zum Ankauf einer Drohne. Ich funke die beiden kurz an, sie wollen in die dänische Südsee. Wir verabreden uns vage für die nächsten Wochen - irgendwo. Wollen mal schauen, ob und wie das klappt.
Gewitter im Anzug
Es zieht sich zu, das Wetter wird schlechter, Gewitter hängt in der Luft. Erwischen tut es uns nicht. Ohne einen Regentropfen abzubekommen kommen wir durch nach Wismar, drehen eine Runde im "Alter Hafen" und legen uns an den Wasserwanderplatz an der Stockholmer Straße, wir kennen ihn aus früheren Jahren.
Irgendwie bin ich unzufrieden, seit einigen Tagen schon. Ständig gibt es Hemmnisse, wir kommen kaum voran, liegen tagelang in Häfen rum, warten auf Fahrräder oder Wetter, unterbrechen, um zum Impfen nach Hause zu fahren. Am zehnten August ist schon wieder ein Termin in Hamburg, Anfang September müssen wir zurück in der Heimat sein - auch ein Termin, unaufschiebbar. Mich nervt das. Wie gern würde ich noch weiter nach Osten gehen, auch Neues sehen. Daraus wird nichts werden, der Verdacht keimt seit Tagen in mir.
Ich lamentiere vor mich hin: Wie lange werd' ich wohl überhaupt noch fahren können? Ein weiteres Jahr, oder zwei, drei? Wer weiß das schon? Mein Lebenswandel ist nicht der Gesündeste. Rechnen wir mal mit dem Schlechtesten. Die Laune wird nicht besser. Als ich Frau Cornelia meine negativen Überlegungen mitteile, macht sie mir Mut, zumindest versucht sie es:
So schrecklich alt sei ich doch noch garnicht. Nur drei lächerliche Jahre älter als sie. Und bislang bekäme ich doch alles noch den Umständen entsprechend ausreichend gut hin. Ich solle mir nicht solche Sorgen machen, bitteschön. Es ginge sicher noch eine Weile. Das nächste Jahr, da sei sie sicher, würde bestimmt viel besser. Im übrigen wären das alles "Alte-Leute-Sorgen". Also Kopf hoch, Andere hätten es bei weitem nicht so gut wie wir. Könnten nicht einfach so durch die Gegend fahren wie wir es seit Jahren tun.
Recht hat sie, unbedingt - sagt der Kopf. Tage später wird sie mir beichten, dass auch ihr die Tour in diesem Jahr nicht ausschließlich gut gefällt.
das Il Casale am Alten Hafen
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen werden wir am Abend bitter enttäuscht, die Schlange vor unserem Lieblingsitaliener ist so unglaublich lang, dass wir als vorläufig letzte in der Reihe das Lokal kaum noch wahrnehmen können, geschätzt würden wir gute zwei Stunden anstehen müssen. Nicht nur wir, wie es scheint, essen gern im "Il Casale". Ein verrücktes Jahr, dieses Jahr. Wir speisen anderswo und lustlos, obwohl wir dort nur einige Minuten anstehen mussten.
27. Juli 2021
Um zwölf steht der Junge in der Plicht, die Begrüßung ist herzlich - man sieht sich so selten seit gut einem Jahr. Vieles gibt es zu erzählen, manches zu fragen, wie geht es Dir, mit Janina alles in Ordnung, die neue Funktion, füllt sie Dich aus, nun erklär doch mal genau, ich hab nie richtig verstanden was genau Du machst, ach so, dann hat das mit dem Studium kaum etwas zu tun? Und so dies und das.
Auch über meine oben beschriebenen Sorgen reden wir kurz. Tja, läßt sich der Sohn ein, das sei ein Thema über das ich besser mit normalen Werktätigen nicht sprechen sollte, vielleicht mit anderen Ruheständlern, aber bitte, empfehlen könne er das nicht. Sicher, er hätte Verständnis, allerdings, wer dreimonatige Reisen mache, solle sich nicht allzu zu laut beklagen, wenn nicht alles wirklich glatt liefe. Eventuell muss ich in einigen Punkten noch einmal neu nachdenken.
Wir laufen in die Stadt, konditern auf dem wunderschönen Marktplatz zu Wismar und machen am Abend einen zweiten Versuch im "Il Casale" - völlig vergeblich. Die Welt ist verrückt. Warum bitte müssen ausnahmslos alle in unserem Restaurant essen gehen?
der Marktplatz
Nach einer halben Stunde Suchen finden wir etwas anderes und sind sehr zufrieden. Meine Lammkeule ist wirklich ein Gedicht, das, der Kortoffelstampf ist super.
28. / 29. Juli 2021
Frau Cornelia macht Frühstück. Warum heute? Liegt es am Besuch von Philip? Egal! Es ist schön, sich an einen gemachten Frühstückstisch zu setzen. Fehlen tut nur noch der Orangensaft. Frau Cornelia nimmt ihn aus dem Kühlschrank.
Unser Orangensaft ist mit Fruchtstückchen, geliefert vom Schiffsausrüster. Wegen der Stückchen muss er geschüttelt werden - unbedingt. Diese Aufgabe bewältigt Frau Cornelia mit größter Anmut, Hingabe und Inbrunst.
Beim ersten Schütteln löst sich der Verschluß, fliegt laut hörbar gegen die Salondecke. Mit dem Deckel entweicht aus Massenträgheitsgründen auch ein kleiner Teil des Tüteninhalts. Es folgen ein zweites Schütteln und natürlich ein drittes. Der Saft tropft von der Decke, läuft in den Herd, auf den Fußboden, zum Teil verschwindet er hinter der Wegerung. Genau jetzt erreicht die Information: hier läuft was schief, das Hirn der Frau Cornelia.
Ihr Gesicht sagt es überdeutlich. Vater und Sohn brüllen vor Lachen. Der Tag beginnt gut. Ab heute habe ich vollen Impfschutz. Auch das ist ein guter Grund zum Lachen, das mit dem Saft aber ist um Längen besser
Philips Zug geht um halb zwölf, die Wetteraussichten sind bescheiden: Wind und Regen. Danach mehr Wind. Länger bleiben aber wollen wir nicht. Boltenhagen wäre ein Ziel, da waren die Eltern früher häufiger im Urlaub, laß uns da doch hin, sagt Frau Cornelia.
Also Boltenhagen. Wir verabschieden uns von einem netten Stegnachbarn mit einer brandneuen "Dehler 29" und machen die paar Meilen.
Um 14:35 Uhr liegen wir in Boltenhagen. Ganze 10,1 Meilen haben wir gemacht. Respekt, oder?
das Hafenrestaurant "Fine Art"
Wieder mal über's Essen, sorry. Ein tolles Hafenrestaurant haben sie da in Boltenhagen. Vor Jahren waren wir schon einmal dort und wurden nicht enttäuscht. Im "Fine Art" machen sie einen tollen Job - in der Küche und nach unserer Erfahrung auch am Gast. Es hat Spaß gemacht. Die Marina Boltenhagen? Na ja, wer's mag. 32 Euro nehmen sie pro Tag für unser Boot.
Am windigen neuen Tag starten wir einen Radausflug in den Ort, der ein gutes Stück vom Hafen enfernt liegt, wandeln auf den Spuren der Schwiegereltern. Es bläst ordentlich. Morgen soll es besser sein und übermorgen ganz schlecht.
Kurgarten
Abends ist Bootsrat. Den Familientermin am zehnten August werden wir nicht mit einem Leihwagen wahrnehmen. Wir gehen jetzt beginnend langsam zurück und werden um den Achten herum in Harburg sein. Danach ein bisschen Hamburg und dann die Elbe runter. Vielleicht Helgoland. Wir trödeln einfach langsam in Richtung Heimat und werden Ende August, Anfang September in Weener eintreffen und dann nach Hause reisen.