Wir haben dieses alte Schiff aus 1976 und wir sind alte Leute. Nicht mehr so beweglich eben. Und Frau Cornelia schimpft immer mit mir, immer wenn ich auf See auf dem Vorschiff rumturne, Segel setze oder sonst was tue. Natürlich meist ohne Weste und ohne mich einzupicken - ich weiß, das ist falsch.
"Lass das Groß doch unten, die Fock genügt - mit der Maschine geht es auch", lässt sie sich dann gerne ein. Im vergangenen Jahr hatten wir wegen einer meiner Aktionen bei nicht völlig ruhiger See sogar ganze zwei Tage Funkstille an Bord. Eine ruhige Zeit - aber sie zehrte an meinen Nerven.
der fertig montierte eloxierte elektrische Kicker
Es gab sogar schon Überlegungen, die Segelei aufzugeben - auf ein Motorboot umzusteigen. Mit beinahe siebzig Jahren sicherlich kein völlig abwegiger Gedanke. Irgendwie aber passte mir das nicht. Einige Jahre immerhin, müssten wir doch noch auf unserer "Kohinoor" fahren können.
Und so überlegte ich lange: Rollsegel, im Mast, im Baum oder wie? Ließ mir Angebote kommen - führte viele Gespräche. Mir gefiel das alles nicht wirklich. Insbesondere von den Kosten her. Und aus anderen Gründen. Zu weit will ich das jetzt nicht ausführen.
Letztlich entschieden wir uns für ein Rollsegel im Mast. Wird ja häufig genommen - trotz einiger Nachteile und hoher Kosten - unter anderem für einen neuen Mast. Ich wollte alles gern automatisch haben, auch wenn es dadurch noch teuerer würde. Egal, ich wollte keine Leinen in der Plicht, die ohnehin nicht allzu zu groß ist und meist mit verschiedenstem Krempel von Frau Cornelia belegt wird. Ganz ohne Leinen ginge es aber nicht, wurde ich belehrt. Mindestens eine Leine für das Groß sei erforderlich und eine zweite auf jeden Fall für den Kicker.
der alte Niederholer, urstabil aber unkomfortabel
Als mir dann kurz vor der Bestellung überraschend eröffnet wurde, dass beim vom Lieferanten gewählten Mastprofil ein automatisierter Betrieb nicht möglich sei, war das Projekt für mich gestorben. Da hatte ich die Faxen dicke - und überlegte völlig neu. Nach weitern alternativen Lieferanten zu suchen, war mir die Lust vergangen. Es mußte doch auch anders gehen. Mit letztlich sogar besseren Segeleigenschaften als mit einem Rollgroß.
Wie wäre es, fragte ich mich, wenn man ein hochwertiges durchgelattetes Groß einsetzen würde, mit reichlich kugelgelagerten Rutschern und gutem Schnitt? Das müsste man doch elektrisch setzen können - mit einer selbst konstruierten Winde und auch elektrisch wieder wegnehmen. Wenn es dann sauber auf den Mast fallen würde. Vielleicht in ein Lazy-Bag-System? So müsste sich das Segelleben zu vertretbaren Kosten doch noch ein wenig ausdehnen lassen können. Frau Cornelia, der ich das Projekt natürlich detailiert erläuterte, war zufrieden:
"Wenn's ma funktioniert. Dann ist es okay. Mach man."
Ich besprach das ganze zusätzlich mit meinen Freund Jörg, der von der Segelei viel mehr versteht als ich es jemals werde. Und danach mit einem holländischen Segelmacher, bei dem ich schon einiges habe arbeiten lassen. Beide waren der Meinung, dass mein Plan umsetzbar sei. Ich hoffe nicht nur, um mir zu Gefallen zu sein, oder nur, um einen schönen Auftrag einzuheimsen. Wir werden sehen! Denn das Projekt wartet auf Durchführung im Frühjahr diesen Jahres. Ich werde berichten.
Übrigens: die Kosten für das Großsegel und das zugehörige Main-Drop-System sind im Vergleich zur Rollsegelausführung so lächerlich, dass auch noch eine schicke neue Genua drin sein wird. Nicht schlecht, denn wir fahren sie schon seit guten zwanzig Jahren.
Nach dem eben geschlderten Entscheidungsprozess kam auf mich einiges an konstruktiver Arbeit zu. Kein echtes Problem - denn ich bin wie bekannt Ruheständler mit rudimentären handwerklichen Fähigkeiten.
Als erstes, so mein Plan, sollte ein neuer Kicker gebaut werden. Den Alten musste ich immer auf dem Deck knieend bedienen - zum schon geschilderten Verdruss von Frau Cornelia. Der Neue würde auf Knopfdruck arbeiten. Meiner Faulheit, ich habe sie bis jetzt noch nicht erwähnt, käme das entgegen. Also los - jetzt sind wir beim Thema:
Kickerkonstruktion und -bau
Ein paar Skizzen, einige Berechnungen, dann an den Rechner und eine saubere Konstruktion machen - nach meinen Möglichkeiten. Über meine Zeichnungen schütteln andere immer wieder mal den Kopf, ich kann sie gut lesen. Wohl weil ich weiß, was ich weit ab von jeder Norm auf's Papier gebracht habe.
erste Skizzen und Berechnungen
das und einiges Mehr kam am Ende aus dem Drucker
Jedenfalls hab' ich schnell festgestellt, dass das, was ich vorhatte, kein großes Hexenwerk sein würde, das zu bauende Ding setzte sich aus nur wenigen Dreh- und Frästeilen zusammen.
Zugekauft werden mussten nur einige Alurohre, eine Gewindespindel und ein passender Motor, kräftig und genügend klein. Zugegeben, der war nicht gerade preiswert zu haben. Soll ja aber halten und ordentlich Kraft aufbringen, das Ding.
Insgesamt sollte die Konstruktion den harten Bedingungen auf See problemlos standhalten können, mindestens so gut wie der alte Niederholer. Ich wählte ein achtziger Hauptrohr mit einer Wandung von fünf Millimetern und für die Schubstange fünfzig Millimeter Durchmesser mit der gleichen Wandstärke. Die beiden notwendigen Gleitlagerungen habe ich aus PTFE-Material gebaut - einfach herzustellen, ausgesprochen langlebig und sehr reibungsarm gleitend.
gedrehtes Fußteil, noch ohne Eloxal
M 20-Gewinde auf der Drehbank gefertigt
Die Kraftübertragung auf die Schubstange erfolgt über eine Gewindespindel auf eine Bronzemutter. Das Material dafür ist auch kein Geschenk, für Geld aber zu haben.
Der Motor gibt seine Kraft über eine Kupplung, die kleine Fluchtungsungenauigkeiten verzeiht, an die Gewindespindel ab. Alle Teile sind leicht demontierbar, der Motor kann mit wenigen Handgriffen aus dem Tragrohr gezogen werden. Im Notfall ist der Kicker auch von Hand bedienbar.
Okay, dazu müsste ich dann aus der Plicht raus und rauf auf's Deck. Wollen hoffen, dass das nicht passiert. Aber vorsehen wollte ich einen manuellen Betrieb schon. Allein wegen der Sicherheit.
Die Endstücke des Niederholers sind aus VA-Material gefertigt und passen zu den am Schiff vorhandenen Aufnahmen. Beim Schneiden der Gewinde auf den Endstücken hab ich mir beinahe die Ohren gebrochen. Das war ein ordentliches Stück Arbeit, die M20-Gewinde auf der Drehbank zu fertigen. Die anderen Drehteile waren fix gemacht.
Schubstangenlager und Bronzemutter
Motor mit Gehäuse und Kupplung
Geschaltet wird das Ding über einen Knopf in der Plicht. Wie von Geisterhand bewegt, wird es dann auf und ab gehen. Das aber kriegen wir erst im Frühjahr, wenn der Mast wieder gestellt ist. Im Augenblick ist für "Kohinoor" Winterschlaf in der Halle angesagt. Im Frühjahr folgt auch ein Foto vom montierten Kicker. Die bislang noch gefahrene Dirk werd' ich dann wegwerfen. Das kommt dem Schnitt des neuen Großsegels zugute und spart wieder eine Leine.
Übrigens, das Ding drückt und zieht rechnerisch gut vierhundert Kilo, in der Praxis sind es sicher noch einige mehr. Der mögliche Hub ist mit dreihundertfünfzig Millimetern mehr als ausreichend. Alle eventuell seewasserbelasteten Teile wurden eloxiert und sollten meinem neuen Niederholer ein langes Leben beschehren. Frau Cornelia wird zufrieden sein.
"Sieht ganz gut aus", sagte sie doch zu meiner großen Freude, als ich das fertige Teil an Heiligabend unter unseren wunderschönen Tannenbaum legte und mir selbst zum Geschenk machte.
Was ich nicht verstehe, ist, dass es sowas augenscheinlich nicht zu kaufen gibt. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Markt vorhanden ist. Nicht jeder, der über Automatisierung nachdenkt, möchte sich eine Hydraulikanlage ins Schiff schrauben und einen sündhaft teuren Hydraulikkicker anschaffen.
Aber gut, vielleicht hab' ich nicht genügend gründlich gesucht.
Ich jedenfalls bin urgespannt, wie es weitergeht mit unserer Segelumrüstung und ob meine Vorstellungen sich vernünftig werden realisieren lassen. Es ist noch reichlich zu tun! Die ersten Schritte aber sind getan. Der Kicker ist fertig!
Und nun nach einer Saison ordentlicher Nutzung kann ich sagen:
Er funzt! Ohne Fehl und Tadel.