Eckernförder Woche
27. Juni - 3. Juli
Noch immer der 26. Juni 2021
Ich werde dieses Kapitel nicht zu lang machen, obwohl, vom Grunde her gibt es einiges zu berichten. Trotzdem will ich bemüht sein, die folgenden Tage so kurz wie nur möglich darzustellen. Bleiben wir noch eben beim 26sten.
Wir liegen mit unserer treuen Kohinoor, ich sagte es weiter oben schon, im Stadthafen von Eckernförde, noch genauer an Steg A. Außen! Hier steht recht viel Schwell, insbesondere dann, wenn freundlich winkende Motorbootfahrer dicht am Steg vorbeiziehen. Mancher von Ihnen zeigt gern was drinnsteckt in seinem Rennpferd und sorgt damit für eine so ordentliche Hecksee, dass die Colagläser auf dem Plichttisch anständig zu scheppern beginnen.
Eckernförde
Genau dieserhalb spekuliere ich auf einen Platz innen am Steg, ganz vorn liegt ein kleiner Motorflitzer, der, wie mir einer unserer Nachbarn erzählt, wohl nur zum Eisessen von wo auch immer in die Stadt gereist ist. Der Platz, der vermutlich frei wird, könnte eben für uns reichen. Es ist knapp, müsste aber passen wenn ich mich genügend dicht an den Hintermann quetsche.
Ich beobachte die Situation, während ich mit meinem Nachbarn klöne, so wie man das unter Böötlefahreren hin und wieder tut. Er kommt aus Bayern, genauer aus München, man merkt es mehr als deutlich, die Verständigung macht das nicht leichter. Zumindest nicht für mich. Ich habe diese kleine Hörbehinderung, obwohl, eigentlich ist es keine Behinderung im eigentlichen Sinne. Die Menschen sprechen einfach nicht so, dass ich sie gut verstehen könnte, sie nuscheln, reden undeutlich oder einfach nur unverschämt leise. Manchmal ist es eine Qual, ich helfe mir dann indem ich nachfrage: "Wie Bitte?", oder je nach Situation zustimmend lächele.
Wie auch immer, Frau Cornelia ist zum Hafenmeister unterwegs, um uns anzumelden. Solche lästigen Gänge nimmt sie mir vielfach und klagllos ab, schon weil ich das Schiff besser zu bewachen weiß, als sie.
Und tatsächlich, plötzlich ist das Motorboot weg dessen Platz ich gern haben möchte. Ich war so ins Gespräch vertieft, dass ich nichts davon mitbekommen habe. Es eilt, noch immer kommen Boote rein, eines davon könnte mir den Platz streitig machen. Frau Cornelia aber ist noch immer nicht zurück. Vor deutlich einer halben Stunde ist sie losmarschiert um das Liegegeld wegzubringen. So lange braucht sie sonst nie. Und dann sehe ich sie. Runde dreißig Meter entfernt unterhält sie sich mit der Dame, die uns vorhin beim Festmachen half.
Ich rufe rüber zu ihr, dass wir an die Innenseite des Steges verholen wollen, jetzt gleich. Frau Cornelia ist von feinfühligem Wesen, sie sprintet heran, wir werfen die Leinen los und parken recht exakt ein. Der Platz reicht soeben, alles bestens gelaufen.
Kohinoor in Eckernförde im Stadthafen
Unsere Leinen werden von meinem Gesprächspartner aus München angenommen, und von der gleichen Dame, die uns vorhin schon so nett behilflich war. Herzlichen Dank an beide. Wir haben unseren Wunschliegeplatz. Perfekt. Frau Cornelia und ich sitzen entspannt in der Plicht.
"Du", beginnt Frau Cornelia, "als ich eben zurückkam vom Hafenmeister lag da bei den Leuten dahinten mit dem Motorboot, weißt du, die Frau uns geholfen hat gehört dazu, ein SUP.
Ich bin stehengeblieben und hab mir das angeschaut. Da kam die Frau rüber, Annika heißt sie, und fragte warum ich so interessiert gucke. Ich hab' ihr erzählt, dass ich auch eines haben möchte, aber noch nicht weiß, ob ich damit umgehen kann. Und da sagt die doch sofort, dass das gar kein Problem ist. Morgen kann ich ihr SUP ausprobieren. Und sie zeigt mir ein paar Grundfertigkeiten. Toll, oder?"
Ich freu mich für Frau Cornelia, sag ihr, dass das doch klasse sei. Jetzt aber müssten wir mal überlegen, wo wir essen gehen wollten. Es sei schon spät und zudem Samstag. Könne sein, das die Restaurants recht voll würden.
Frau Cornelia erwidert erkennbar schmallippig , sie sich hätte sich schon mehr emphatisches Eingehen auf ihre Freude gewünscht, hat aber grundsätzlich nichts gegen ein Abendessen, am liebsten bei einem Italiener.
Wir nehmen die Räder vom Deck, schieben zu meinem Münchner Freund und fragen den nach einer Restaurantempfehlung. Er liegt hier schon 'ne ganze Weile, er hat einen Motorschaden und wartet auf ein Ersatzteil.
Er könne helfen, sagt er, ganz in der Nähe, die erste echte Querstraße abgehend von der Hafenpromenade, da sei das "Taverna al Porto", tolle Küche, sehr nette Bedienung - unbedingt empfehlendswert.
Wir danken für den Tipp und ziehen los, den Wahrheitsgehalt der ausgesprochenen Empfehlung allerlings können wir nicht prüfen. Direkt hinter dem Eingang zur auf einen wenig idyllischen Parkplatz blickendenTerrasse werden wir von einer recht jungen Bedienung dermaßen abgekanzelt, dass für uns feststeht: Die "Taverna al Porto" nie wieder. Auch nicht, wenn alle anderen Restaurants der Welt dauerhaft geschlossen wären.
Zur Qualität des Essens in diesem Etablissement können wir also nichts beitragen. Sorry! Wir suchen auf eigene Faust und finden das "Alfredo". Hier werden wir vollumfänglich entschädigt - in jeder Hinsicht, das Rumpsteak ist auf den Punkt, auch an allem Anderen kann man nicht herummeckern. Später werden wir von unserem bayrischen Bootsnachbarn hören, dass auch er seine Einstellung zur Taverna hat revidieren müssen. Gehässig wie ich bin, ich kann nichts dafür, das ist genetisch, hoffe ich, dass es noch Vielen so geht. Arroganz gehört durch Umsatzentzug bestraft!
27. Juni - 2. Juli 2021 Hafentage Eckernförde
Der nächste Morgen ist schon eine Weile heraufgezogen, wir sitzen beim Frühstück mit den letzten Eiern aus Verenas und Nicos hochökologischer Freilandhaltung. Frau Cornelia ist eine gewisse Anspannung anzumerken, sie drängt auf schnelle Beendigung der sonst eher ausgeprägten Frühstückssitzung - wir erinnern uns, ihre SUP-Probestunde naht.
Gegen elf marschieren wir den Steg herunter, es sind kleine 50m Meter bis zu Frau Cornelias Einsatzort. Dort treffen wir auf drei Damen vor einem Motorboot.
Die eine arbeitet grazil mit einem Hula-Hoop-Ring, läßt ihn gekonnt um die Hüften kreisen, die beiden anderen, sie sind augenscheinlich etwas älter, so mein Jahrgang geschätzt, sitzen auf Campingstühlen vor dem Motorboot und schauen aufs Wasser.
Wir werden ausgesprochen freundlich begüßt, stellen uns vor:
"Moin, Cornelia, Peter."
"Auch Moin, Hella, Monika, Annika, schön Euch zu sehen."
Nette Mädels das. Alle drei.
Es könne gleich losgehen, sagt Annika. Der Hula-Hoop kreist dabei wie selbstverständlich weiter. Sie müsse noch kleine zehn Minuten Sport machen. Wegen der Figur - wir wüssten schon.
auch Hella zeigt ihr Können - ich bin schwer beeindruckt
Wir klönen ein wenig mit den beiden anderen Mädels, wollen Annika nicht über Gebühr stören. Und dann geht das los, Annika gleitet ins Wasser, schwingt sich auf das Bord und erklärt Frau Cornelia einige Grundbegriffe. Danach legt sie gekonnt eine Runde vor. Nun ist Frau Cornelia dran. Ab ins Wasser und rauf auf das Board. Ich käme niemals drauf, darauf wette ich, sie schafft es in kurzer Zeit, kniet, steht, schwankt ein wenig und kniet wieder. Annika gibt Hilfestellung und unterstüzt mit gutem Rat.
Annika erklärt wie's geht
bei Conny läuft es nicht gleich völlig rund...
Sicherheitshalber wurde das Board mittels einer langen blauen Leine mit dem Steg verbunden. Man weiß ja nie. Es folgen erste längere Stehübungen und das Ausreiten kleiner Wellen, dann macht Frau Cornelia die ersten Paddelschläge - und es läuft gut, so gut, dass ich nach wenigen Minuten sicher bin, zukünftig auch noch ein Stand-Up-Paddeling-Board herumzuschippern.
...dann aber wohl
Das ist kein schöner Gedanke, aber, und das gehört dazu, Frau Cornelia ist mir lieb und teuer. Nach Beendigung der Übungsstunde werden von allen Mädels erste Pläne geschmiedet: Wie ist am Besten an ein SUP heranzukommen? Eine intensive Internetrecherche wird beschlossen. Ich halte mich raus. Ich bin nur der Steuermann.
noch eine Einlage von Annika
Wir zwei alten Leute planen zur Erholung eine kleine Fahrradtour, Annika empfiehlt eine Fahrt entlang der Eckernförder Bucht. So wollen wir es machen und ziehen los. Eine Einkehr in ein Café ist auch vorgesehen. Die Strecke ist landschaftlich schön, aber anspruchsvoll, die Wege sind zeitweise kaum 20 Zentimeter breit. Immer wieder lauern feinsandige Schikanen in denen das Vorderrad sich in unkalkulierbare Richtungen bewegt. Streckenweise ist Gefahr hoch, mit dem linken Arm in kaum einem viertel Meter entfernten, rostigen Stacheldraht hängen zu bleiben.
schmale Wege
Pause am Strand
Aber alles geht gut, eine Pause machen wir an einem kleinen menschenleeren Strand mit weitem Blick, ein Café finden wir nicht. Nein das stimmt so nicht, das Erste erreichen wir viel zu früh, nach zehn Minuten vielleicht, das Zweite kurz vor Ende der Reise. Es ist knüppelvoll. Wir werden unseren Kaffee auf dem Boot nehmen, das spart dann auch noch.
Zurück auf dem Steg laden wir die drei Mädels für heute Abend zu uns in die Plicht ein - streng coronakonform natürlich. Es wird ein netter Abend mit viel Unterhaltung und Spaß. Das SUP soll morgen in einem nahe gelegenen Baumarkt angekauft werden. Übereinstimmende Recherchen von Hella und Frau Cornelia legen das nahe. Dort wird ein Board für Anfänger feilgeboten, nicht zu teuer und mit allen gewünschten Features versehen. Besser kann es nicht laufen.
Es wird nicht so weit kommen. Es wird alles anders werden. Aber Geduld!
Was ich bislang vergaß: Eckernförde ist ein nettes Städtchen. Es lohnt einen Besuch und ausgiebige Bummel in der Innenstadt. Pittoreske schmale Gassen werden vorgehalten, sie alle sind mit Katzenköpfen gepflastert und muten recht aus der Zeit gefallen an. Die Fußgängerzone ist für die Einwohnerzahl der Stadt riesig und gemütlich. Cafés, Restaurants und viele, noch inhabergeführte Geschäfte gibt es reichlich. An das Zentrum schließt sich direkt am Hafen liegend, ein langer Sandstrand an. Es ist für Wassertouristen ein wenig ab dieses Eckernförde - aber es lohnt sich.
ein langer Sandstrand
schönes Wohnen
Frau Cornelia hadert noch ein wenig: Soll ich's wirklich kaufen? Lohnt das noch? Die typischen Gedanken alter Leute eben.
Ich rede nicht dagegen, schließlich bin ich selbst noch älter und habe bestimmte Interessen. Das wird weder der Leserin noch dem Leser entgangen sein.
Aber es kommt wie es muss: Das Board wird angeschafft. Genau das ist die Beschlusslage am nächsten Morgen. Also los mit den Rädern zum Baumarkt. Wir sollten da sein bevor das Schnäppchen mit Pech abverkauft ist.
Einen kurzen Stopp machen wir noch bei Hella, sie sitzt in ihrer Plicht Es gibt noch eine Frage:
"Sag Hella, wie breit ist Dein Board? Schmaler sollte das, was ich kaufen will, nicht sein. Wegen der Stabilität."
"Warte", sagt Hella, "ich komm mit einem Zollstock," (sie meint natürlich einen Gliedermaßstab mit metrischer Teilung) und springt schon aus ihrem Boot. In der rechten Hand das Meßwerkzeug. Frau Cornelia stellt ihr Rad auf den Mittelständer, die beiden gehen in Richtung Board, zum Messen.
Zwei Schritte nur - es scheppert, nicht laut, aber hörbar. Beide blicken sich um: Das Rad der Frau Cornelia rutscht unrettbar über die Stegkannte. Es plupt, so, als würde etwas nicht zu großes auf dem Wasser aufschlagen.
Bis auf zwei, drei Meter Wassertiefe können wir das langsame Abtauchen des Rades verfolgen, dann ist die leichte Trübung der Ostsee gnädig - nichts ist mehr zu sehen, garnichts. Kleine Bläschen aber verraten: Hier liegt was im Wasser, etwas, dass irgendein Gas abgibt, vielleicht ist es nur Luft. Kontinuierlich platzen die kleinen Bläschen geräuschlos an der Oberfläche.
Wie zum Hohn tanzt an der Absturzstelle ein Schwarm winziger Fische ein beschwingt synchrones, beinahe zynisches Ballett. Vielleicht fühlen sich die Fischlein vom abrupten Entladen des Akkus gestört. Wer weiß es schon.
Schuld an diesem häßlichen Ereignis ist ein Windstoß - und natürlich ich. Ich hätte sie warnen müssen, die Frau Cornelia. Vielleicht hätte es ein rüdes:
"Du dusselige Kuh, stell Dein Rad nicht so dicht an den Stegrand!", getan. Oder so etwas ähnliches, nicht ganz so krasses. Nein im Ernst, ich hätte es ahnen müssen, hätte besser aufpassen müssen! Schließlich bin ich der Steuermann. Aber wohl nicht mehr genügend aufmerksam. Mit Glück liegt es nur am Alter. Dann wäre es verzeihlich.
"Oh nein", kommt es von Frau Cornelia, "was mach ich bloß. Mein Rad! Wie konnte das passieren?"
Langsam drifttet ein Müllsack weg von der Havariestelle. Und zwei leere Weinflaschen. Die letzten Gegenstände, die an das Geschehene erinnern. Sie lagerten im Lenkerkorb und entgingen dem Untergang aufgrund genügenden Auftriebs.
"Das war's mit Deinem Elektrorad, Hasilein. Zukünftig wirst Du wieder kräftig in die Pedale treten müssen. Denn eines ist mal klar, wir holen es wieder raus aus dem Bach. Sei sicher." So versuche ich, die Stimmung aufzuhellen, ein wenig Mut zu verbreiten. Den Ton hab' ich wohl nicht ganz getroffen. Es kommt zurück:
"Arschloch! Aber Du hast ja recht. Scheiße, Scheiße. Wie willst Du das denn wieder rausholen?"
"So wie ich schon manche Hose wieder hochgeholt habe. Und Anoraks, ein Schlüsselbund und meine Brille. Weißt Du noch?"
Hella ist ein fixes Mädchem. Mit praktischem Verstand. Sie hat schon einen Dragon-Anker hervorgekramt, reicht ihn rüber zu mir und gleich danach die blaue Leine, die gestern zur Sicherung des SUP diente.
Das Rad liegt auf genau zehn Metern Wassertiefe. Ich weiß das, weil ich bei unserer Ankunft auf das Echolot schaute und dachte: Ganz schön tief der Teich hier.
Ich fang an zu angeln. Die Blasen verraten noch immer die Lage des gesuchten Objekts. Aber ich krieg es nicht. Nicht beim dritten Versuch und auch nicht beim zehnten. Irgendwie treibt der Anker immer weg. Einmal glaube ich etwas gegriffen zu haben. Nur kurz. Dann zieht es sich leichter. Ätsch!
Hella klettert auf das Heck ihres Bootes.
"Gib mal rüber die Leine", sagt sie. "Ich versuchs von hier. Da bin ich direkt über dem Rad."
Ich reiche ihr das blaue Tau rüber. Sie geht es ganz vorsichtig an, läßt den Anker nur ganz, ganz langsam sacken. Und siehste: Beim dritten Versuch packt er.
Hand um Hand zieht sie die Leine an, Zentimeter für Zentimeter. Und dann sehen wir es. Rot schimmert es auf rund drei Meter Wassertiefe.
Just in diesem Moment kommt Annika zurück, sie war in der Stadt, einkaufen. Die Lage erfasst sie sofort, legt blitzschnell die Oberbekleidung ab und gleitet nixengleich ins Wasser. Das Rad soll nicht im letzten Moment noch von der Angel gehen. Sie sichert es so, dass ich es greifen kann und aus dem nassen Element befreien.
Frau Cornelias Rad taucht wieder auf
Dann liegt das Häufchen Elend auf dem Steg, Hella sprizt es sofort ab mit Süßwasser. Frau Cornelia verdrückt einige Tränen.
"Du kannst das sparen", sage ich zu Hella gewandt, "eines ist sicher, die Elektronik ist hin und ganz sicher auch der Akku. Wie ich schon sagte, Frau Cornelia wird kräftig in die Pedalen treten müssen, ab jetzt."
"Har, har", kommt es zurück von der armen Frau Cornelia. Sie grinst gequält.
Trotz meiner Worte läßt Hella sich nicht beirren. Geradezu liebevoll wässert sie weiter. Viele Liter rauschen aus dem Schlauch. Den beiden Mädels vom Motorboot sei herzlich gedankt! Sie haben Tolles geleistet.
Man wird es nachvollziehen können, Frau Cornelias Laune ist komplett im Keller. Den SUP-Einkauf bläst sie ab, zumindest vorläufig.
Wir zwei alten Leute ziehen zurück zur Kohinoor - müssen beratschlagen was jetzt zu tun ist. Obwohl, eigentlich ist die Sache klar, oder?
Die Räder legen wir vor das Schiff. Sicher ist sicher. Für meines wäre es schade, wenn es ins Wasser fiele.
Wir kochen uns Kaffee, reden recht vernünftig miteinander. Und schnell ist klar: Ein neues Rad muss her. Frau Cornelia konsultiert die Seite eines namhaften norddeutschen Bootstechnikversenders und siehe da: Das Rad ist noch lieferbar und laut Webseite sogar am Lager. Welch ein Glück. Es ist für mich wichtig, das gleiche Rad zu bekommen, auf dem Deck habe ich genau passende Halterungen für die Drahtesel montiert. So sind sie schnell einsatzbereit und verstauben nicht unbenutzt im Keller des Schiffes.
Ein Telefonat mit der Bestellabteilung bringt Klarheit. Tatsächlich, der Lieferung steht nichts entgegen:
"Nein, auch in den Hafen nicht. Das ist unser tägliches Geschäft. Aber sagen Sie, warum brauchen das gleiche Rad noch mal?"
"Ich hab's in die Ostsee geworfen", ist die Antwort von Frau Cornelia.
"Oh", kommt es zurück.
Und der Rest ist warten. Statt radzufahren laufen wir. Zumindest für mich ist das eine vernünftige, beinahe therapeutische Beschäftigung. Wir gehen in die Stadt, gehen von der Stadt zurück zum Schiff, laufen in die Eisdiele und zum Strand. Vom Strand wieder zum Schiff. Und so weiter. Warum ich das erzähle?
Erstens, weil wir eigentlich längst weiter sein wollten, an der Schlei oder irgendwo anders in Schleswig-Holstein und zweitens, weil etwas komisch ist an der Lauferei.
Es ist nämlich so, seit einiger Zeit habe ich auch so ein modernes Telefon. Eines, das auch Zugang zum Internet bietet und durch verschiedene Hinweistöne auf Dinge aufmerksam macht, die zumindest ich nicht unmittelbar wissen will. Und dieses Telefon, obwohl es ein altes, abgelegtes von Frau Cornelia ist, bietet eine Funktion, die "Health" heißt, vermutlich ist Gesundheit damit gemeint. Aufmerksam darauf gemacht hat mich Frau Cornelia:
"Hier, schau, hier kannst Du sehen wie weit Du gelaufen bist pro Tag und wieviel Treppen Du gestiegen bist. Das ist gut für Dich. Schau da drauf. Jeden Tag."
Seit dieser Anweisung trage ich das Ding häufig bei mir. Ich vermute, nur dann sagt es mir, wieviele Schritte ich tat, wie es mir geht. So auch in diesen Tagen.
Frau Cornelia hat ihr Telefon immer dabei, schon um die Luca-App nutzen zu können und sich insofern regelkonform zu verhalten. Nach dem ersten längeren Ausgang komme ich auf die Idee, unsere "Health-Werte" zu vergleichen, wäre doch mal spannend.
Beide sind wir überrascht. Trotz eidesstattlich versicherter gleicher Laufstrecke sind die angezeigten Ergebnisse unterschiedlich, sowohl was die zurückgelegte Strecke, als auch was die gelaufenen Schritte angeht. Unterschiedliche Schrittzahlen würde ich verstehen und akzeptieren, ich bin der Größere von uns und mache schon deshalb wohl auch größere Schritte. Aber das Frau Cornelia auch deutlich weiter unterwegs gewesen sein soll ist ungerecht und gemein.
Wir wollen der Sache auf den Grund gehen, Frau Cornelia steckt beim nächsten Gang beide Telefone ein, linke Gesäßtasche eines, rechte Gesäßtasche eines. Jetzt wollen wir doch mal sehen.
Das Ergebnis: Frau Cornelias Telefon zählt runde vier Kilometer, meines ca. drei.
Was soll das? Warum neigen wir dazu, an diesen Dreck zu glauben, Dreck der uns von der zweifelhaft digitalen Welt immer abhängiger macht, wir sind ja kaum noch in der Lage auf der Straße von A nach B zu finden, ohne Navi. Diese zunehmende Technikverliebtheit, da bin ich sicher, raubt uns viele Fähigkeiten. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass uns die Technik belügt. Just wurde es bewiesen.
Und für jede Befindlichkeit eine App - das kann nicht richtig sein! Wir müssen uns das bewußt machen. Auch ich.
Frau Cornelias Fahrradstatus wird auf: "Heute wird geliefert" gesetzt. Das Hafenmeisterbüro ist nur bis elf besetzt. Danach übernimmt sie selbst die Wache. Gegen eins klingelt mein Telefon:
"Du glaubst es nicht. Das Rad ist da. Es steht hier auf einer Palette. Kannst Du kommen?"
ein Paket, ein Paket
der Inhalt beinahe unversehrt
Natürlich kann ich. Bewaffnet mit ein paar Werkzeugen ziehe ich los. Der Karton ist schnell geknackt, das Rad fix grundmontiert. Die Lieferung ist soweit in Ordnung, nur ein Sicherungsbügel für den Klappmechanismus des Rahmens wurde defekt angeliefert, einige Details hat man in den letzten drei Jahren geändert. In einigen Bereichen hat man gespart, in anderen ist man dem Zeitgeist gefolgt und hat einiges optisch aufgewertet. Endgültig werden wir uns das gleich auf dem Steg ansehen.
fast geschafft, nur noch ein paar Kleinigkeiten
Dort angekommen wechseln wir einen Bremszug aus, tauschen ihn gegen den vom alten Rad, genauso wie den Sattel. Am Bremszug hat man zwei Zentimeter Länge gespart, wieviele Centbruchteile das wohl im Einkauf ausmacht? Der alte Sattel ist einfach bequemer, auch wenn er noch immer salzig feucht ist.
improvisierte Werkstatt auf dem Steg
Insgesamt sind wir zufrieden, wir bleiben noch einen Tag, gehen abends bei Alfredo essen und werden schon behandelt wie liebe Stammgäste. Das alte Rad übernimmt dankenswerterweise Hella.
"Für's Fahren hier im Ort wird es reichen auch ohne Antrieb", sagt sie.
3. Juli 2021
Abschied nehmen von Hella und Annika, Monika ist schon nach Hause gereist. Um 10:30 verlassen wir den Steg und gehen nach Kappeln. Wohlbehalten und ohne Zwischenfälle treffen wir dort um 14:30 Uhr ein. Wie meistens steht quer zu den Boxen ein ordentlicher Strom. Wir schaffen das Einlaufen in die Box beim ersten Versuch. Ohne Probleme! Das ist rekordverdächtig.