2018 | © pt
07.06.2017, Mittwoch
Die Wettervorhersage bleibt. Jörg kommt gegen halb elf. Wir sind sofort einig, vor zwölf müssen wir nicht los. Borkum tun wir uns bei dem Wind nicht an. Würden wir auch in einer Tide nicht schaffen bei der See. Also, Delfzijl muss reichen für heute. Da sind wir fix. Es gibt Kaffee. Irgendwann schalte ich die Instrumente an und starte den neuen Wechselrichter. Der meldet sich sofort mit roter LED. Störung! Aus! Wieder an. Störung nach 30 Sekunden. Der dritte Versuch versöhnt. Er läuft. Komisch ist das schon, oder?
Es regnet und bläst auch hier in Weener schon ordentlich. Die Windmessanlage ignoriert das. Die sagt: Wind 000. Instrumente noch mal aus und wieder an. Windmessanlage: ---. Ich zieh den Stecker am Mastfuß. Das hat keine Auswirkung. Stecker wieder rein. Nix Wind.
Zum Telefon: „André, was ist los? Warum läuft mein Windmess nicht?“
„Ja, ich komm gleich lang. Ja gut, dann zur Tankstelle. Bin gleich da.“
Ich geh rüber zum Doktor um „Tschüss“ zu sagen. Der will uns aber am Steg verabschieden und zieht sich seine Jacke an:
„Nein, nein, der Regen macht nichts. Ich mach euch die Leinen los. Und eine schöne Reise.“
„Falls ihr nach Lübeck kommen solltet, schickt uns eine Karte“, sagt Frau Doktor. Sie kommt aus Lübeck, wurde dort geboren und sie liebt die Stadt.
Auf geht’s. Ich tanke. André kommt, zieht hier, dreht da und tatsächlich: nun ist Wind auf der Anzeige. Alles bestens. Wir quälen uns durch den Schlick zur Schleuse, liegen um 13:00 Uhr drin und sind wenig später auf der Ems. Die ist mindestens so dreckig wie immer. Der Regen dagegen ist ehrlich, hell und klar. Schon vor dem Sperrwerk haben wir sieben Bft auf der Nase und zunehmend viel See. Ab Emden werden die Wellen deutlich kleiner.
Jörg steht im Regen
„Ist wohl immer so“, sagt Jörg. Ich seh das ähnlich. Wim gibt keine Einschätzung ab. Der Regen bleibt und fällt gleichmäßig von vorne ein.
Nun sind wir also unterwegs in Richtung Ostsee, wir drei, und auf dem Wasser möchte ich gern mit anderen Menschen in Verbindung treten können, ohne deren Telefonnummer zu kennen. Mit der nächsten Brücke sprechen, mit einer Schleuse in Kontakt treten, vielleicht im schlimmsten Fall einen Notruf absetzen, oder nur einen anderen Segler oder ein größeres Schiff anfunken, um etwas zu klären.
Dazu benutzt man ein sogenanntes Seefunkgerät, das in der Lage ist, über vergleichsweise große Distanzen zu senden und zu empfangen. Ganz ohne die vielen Handyfunkmasten, die wir heute überall sehen.
Ich möchte nun, wie eigentlich immer und weil es sich gehört, den Revierfunk abhören um Neuigkeiten über das regionale Wetter zu erfahren. Ist eigentlich nicht nötig, vielleicht aber wissen die da mehr, als wir sehen können.
Komischerweise kann ich die Revierzentrale nur in Fetzen empfangen. Normal ist er hier auf der Ems auf Kanal 18 klar und deutlich zu hören. Ich mache eine Testaussendung: Radiocontrol. Niemand reagiert. Komisch. Auch die nächsten Ausrufe bleiben unbeantwortet. Die Handfunke aber empfängt. Sowohl mich, wenn ich ins große Gerät spreche, als auch den Revierfunk.
Hm, im Winter wurde gearbeitet am Funk, natürlich von einem renommierten Unternehmen das hier vermutlich nicht genannt werden möchte. Der Funk machte, obwohl vor knapp zwei Jahren völlig neu installiert, vom gleichen renommierten Unternehmen, komische Sachen. Er stellte das Funkgerät immer wieder auf Kanal 28, ohne erkennbaren Grund und natürlich ohne nachzufragen. Der Umtausch des Handhörers brachte keine Verbesserung, das Einsenden der Blackbox, verbunden mit umfangreichen Tests im Werk, ebensowenig. Immer wieder Kanal 28 – gebraucht habe ich diesen Kanal noch nie – zumindest kann ich mich daran nicht erinnern. Im Winter nun wurden, um der Sache Herr zu werden, wohl einige Verknüpfungen des Geräts mit anderen Apparaten geändert.
Ob in diesen sicherlich wohlgemeinten Änderungen wohl der Grund dafür liegt, dass niemand hier mit mir sprechen will? In Delfzijl werde ich mir das mal anschauen.
Rund 18:00 Uhr sind wir fest in der kleinen holländischen Stadt Delfzijl. Wir lernen den neuen Hafenmeister kennen, der bisherige ist nach gefühlten sechzig Dienstjahren im Herbst in Rente gegangen, er war immer nett und angenehm. Auch der neue macht einen guten Eindruck. Essen holt Wim vom Chinesen, Reistafel für drei Personen. Wir schaffen weniger als die Hälfte. Kein Problem, trotz schon hoher Beladung nimmt unser Kühlschrank das zusätzliche Volumen klaglos auf. Und das Abendessen für morgen ist gesichert, entweder auf Borkum oder auf See, je nachdem, wie es am besten passt.
Strom nehmen wir nicht, Strom kostet extra. Nein, das ist nicht der Grund, ich will „Power Block“ laufen lassen, es ist nicht ganz warm und natürlich zum Test. Das Liegen in Delfzijl gibt es für € 19,80 pro Nacht und ohne Strom bei einer Schiffslänge von bis zu zwölf Meter.
Den Funk muss ich noch prüfen. Mir lässt das keine Ruhe. Ohne vernünftige Funke möchte ich nicht auf See sein. Noch ein Kaffee aus der vorzüglich funktionierenden Senseo und los, mal schauen, ob was zu finden ist. Komischerweise funktioniert das Handy, das in die Funkantenne eingeschleift ist, bestens.
Das heißt doch vermutlich, dass der Fehler vor der Handyweiche liegen muss. Also das Schaltpaneel öffnen. Dahinter liegt, unter anderem, die Antennenverteilung für die Funkanlage. Vorher hat Jörg noch alle Verschraubungen der Antennenkabel geprüft, ohne jede Beanstandung.
Im Verteilerkasten hinter dem Schaltpaneel stoße ich auf eine weitere Weiche. Von hier wird das Funksignal entweder in den Mast geschickt, oder aber im Notfall, wie zum Beispiel einem Mastbruch, in das Heck des Schiffes. Dort kann im Fall der Fälle eine Notantenne montiert werden. Normal und jetzt ist normal, ist diese Antenne nicht montiert, das Antennenkabel liegt lose in der Backskiste.
Die umschaltbare Weiche messe ich durch, sie hat einen nicht wirklich akzeptablen Übergangswiderstand und schaltet auch nicht sauber. Außerdem, und das ist große Kacke, ist das Funkgerät auf die Notantennenleitung geschaltet, nicht auf die Mastantenne. Eines weiß ich genau: Ich hab’ den Schalter nicht umgelegt.
Hiermit erklärt sich auch, weshalb ich im Hafen auf wenige Meter Distanz die Schleuse habe rufen können, ebenso die Brücke in Leer, ansonsten aber nicht gehört wurde. Die Weiche baue ich sicherheitshalber aus und verbinde die notwendigen Leitungen mit einer Kupplung. Und siehe da: Emsrevier ist sauber empfangbar. Mein Anruf dort wird mit einem „Klar und deutlich“ quittiert. Schön, eine Sorge weniger. So eben arbeiten die besten Ingenieure weltweit.
Übrigens trage ich in meinem Beurteilungsheftchen einen Pluspunkt für die Funkanlage ein, frühere Geräte hätten einen Betrieb ohne Antenne nicht überlebt. Ich sage es ungern: Es ist nicht alles schlechter heute.
Dienstlicher Abschluss des Tages ist die Crewbesprechung unter Zuhilfenahme des Tidenkalenders. Wir stellen a) fest, dass Aufbruch morgen erst gegen 12:30 Uhr zu sein braucht und b), dass wir auf Borkum ruhig pausieren können. Wenn wir dort gegen 05:00 Uhr morgens starten, machen wir die Strecke nach Cuxhaven komplett bei Helligkeit. Das habe ich bislang noch nicht erlebt. Die Planung wird begeistert und einstimmig angenommen. Der einzig negative Aspekt ist das verdammt frühe Aufstehen weit vor der Zeit. Danach ist Freizeit. Der Abend endet rund drei Uhr.
08.06.2017, Donnerstag
Gemütliches Frühstück zu dritt, Zeit ist genug, der Revierfunk bringt uns das Wetter und alles was für Emsbefahrer wichtig ist, laut und deutlich. Wind aus der richtigen Richtung, und das ist selten, um 14 Knoten. Wim will gleich einen ersten Blick auf die Karten werfen. Das wird dann ja wohl werden. Und der Bordrechner zeichnet auf, was „Power Block“ so macht. Hin und wieder werfe ich einen Blick auf die durchlaufenden Zahlenfolgen, so auch jetzt. Es ist zu warm unter dem Gehäuse, meldet der Gute. Die elektrische Leistung hat er schon heruntergefahren. So soll es sein, wenn etwas nicht stimmt. Aber woran liegt das? Ich fühle mal am Luftauslass. Da kommt viel zu wenig, das ist mal sicher. Ein Verdacht keimt auf: Der Zahnriementrieb für den Lüfter, da muss was nicht stimmen.
Ich stell’ die Maschine vorläufig ab. Lässt mir keine Ruhe, die Sache. Deshalb klettere ich in die Backskiste und nehme den Frontdeckel ab. Taschenlampe an und schauen, was im Motorgehäuse so los ist. Alles sieht prima aus, alles sauber, kein Öl, kein Diesel, nur da hinten liegt was. Mit dem linken Arm reingreifen und das, was da liegt, herausangeln. Autsch, dabei verbrenne ich mir ordentlich den Unterarm, habe aber einen zerrissenen Zahnriemen zwischen den Fingern. Man hätte auch etwas warten können – dann täte es nicht so weh. Die Grunddiagnose war augenscheinlich richtig. Aber warum reißt das Ding einfach so kaputt?
Oh ja, natürlich, das ist der Riemen, der schon einmal richtig strapaziert wurde, als die Riemenscheibe auswanderte. Da wird er wohl schon mächtig einen mitbekommen haben. Ok, Ersatzriemen sind genügend an Bord. So wie die Dinge liegen, werden wir zeitig auf Borkum ankommen. Dann kann ich das eben reparieren. Jörg wird gerne helfen, sagt er, und mir unter die Arme greifen.
Wim lässt sich von mir erklären, was ich schon alles mit den nicht ladbaren Seekarten versucht habe und setzt sich dann an den Rechner. Wir lassen ihn machen und wollen nicht stören.
Um halb eins werfen wir die Leinen los, tuckern durch die unendlich lange Hafenzufahrt und können draußen zum ersten Mal in diesem Jahr Segel setzen. Bei mildem Wind gemütlich Richtung Borkum. Wir gehen wie immer in den Burkanahafen. Seit einigen Jahren sind die drei Brücken aus Bundeswehrzeiten fast komplett mit Versorgern für die Windparks belegt. Die bringen Geld. Außerdem liegen auch die Lotzenversetzer für die Ems an den Brücken. Wir Yachties sind nur noch ungern geduldet. Einen Platz finden wir an der dritten Brücke. Das ist die Beste. Sie hat den geringsten Schwell. Leinen fest um 16:00 Uhr, recht fixe 20 Meilen waren das.
Kurze Pause, dann wird geschraubt. Ich quetsche mich in die Tamilenkammer, so hat mal irgendjemand Kohinoors Backskiste getauft, Jörg sitzt oben, um Teile anzunehmen und Werkzeug anzureichen. Zehner-Maul, Achter-Nuß, Knarre mit kurzer Verlängerung, Bitte, Danke, so geht das rund und nach knapp eineinhalb Stunden sind wir durch – der neue Riemen ist montiert und wirklich alles wieder am Platz. Nichts ver-gessen. Alles super. Und „Power Block“ schnurrt wieder vor sich hin. Das Werkzeug ist noch nicht wieder weggeräumt, da kommt die Hafenmeisterin:
„Oh, ihr Armen, Probleme, Maschinenschaden?“
„Nee, nicht mehr, alles gerichtet.“
„Ja super, dann könnt ihr ja auch so nett sein und euch an die mittlere Brücke verholen. Ich kriege heute noch einen großen Segler rein, der soll hier liegen.“
Wir sind natürlich so nett, gar kein Problem. Es wird noch ein wenig geklönt, die Frau ist wirklich angenehm und weiß einiges zu erzählen, runde zwanzig Euro wechseln den Besitzer und wir zusätzlich den Liegeplatz.
An der anderen Brücke werden unsere Leinen von einer Amerikanerin entgegengenommen. Sie gehört zur einzigen dort liegenden Yacht, einer grundsoliden Fisher 37 unter französischer Flagge. Nach kurzer Zeit bekommen wir Besuch vom Eigner des Schiffes. Er möchte sich ein wenig über das Revier erkundigen. Wir erzählen gern das wenige, was wir wissen und erfahren, dass die beiden weiter nach Norderney möchten, danach über Helgoland in die Elbe und weiter via NOK in die Ostsee.
Wann man denn am besten starten würde und ob man komplett dem Verlauf der Westerems folgen müsse, um dann nach Osten einzuschwenken?
Die gesamte Unterhaltung wird englisch geführt, er spricht es gut, für einen Franzosen sogar besonders gut, ich kann nur mit meinem beinahe 50 Jahre alten Schulenglisch kontern, und das ist weiß Gott mäßig. Worüber ich mich immer maßlos ärgere – ändern tu ich nichts. Irgendwie aber verstehen wir uns. Wim und Jörg helfen mit der einen und anderen Vokabel aus.
Ob er uns denn morgen früh begleiten dürfe über den Sand, fragt er, er würde sich dann sicherer fühlen.
Gern natürlich, wie tief geht dein Schiff? Nur 1,6 Meter, gar kein Problem. Ein paar Nettigkeiten noch, und ein: „Bis morgen früh“, dann verlässt er uns. Wim hat währenddessen unser Abendmahl zubereitet: Reistafel, Teil 2. Es schmeckt.
Darüber hinaus, ich vergaß es zu erwähnen, war er nicht untätig, dafür aber nicht zu erfolgreich. Auch er kriegt die Karten nicht ans Laufen, hat etliches ausprobiert und dann auch mit dem Mann beim Kartenverlag gesprochen. Es war der gleiche Herr Graf, mit dem auch ich das Vergnügen hatte. Der sagte zumindest zu, sich zu kümmern, das Problem im Hause zu besprechen und sich dann wieder zu melden. Vielleicht schon morgen.
Es geht nicht zu spät in die Kojen, die Nacht droht kurz zu werden. Wir haben runde hundert Meilen vor uns bis Cuxhaven, das ist eine Reisezeit von exakt 16,67 Stunden, sagt die Planung.
09.06.2017, Freitag
Der Tag beginnt mit geweckt werden. Ziemlich genau um zwanzig vor fünf. Ich hab grottenschlecht geschlafen, das tu ich immer, wenn ich für meine Verhältnisse früh raus muss. Früh raus ist alles vor 09:00 Uhr, 09:00 Uhr geht so grade. Aber das ist wohl der Fluch der Tidengewässer – man ist abhängig von den Gezeiten. Dafür allerdings werden wir das Wasser mithaben, eine ganze Weile lang und wenn es gut läuft, schiebt es uns dann heute Abend in die Elbe hinein, nicht sofort, wohl aber das letzte Stück. Und das dann ist der Segen der Tidengewässer.
Also aufstehen, Kaffee, Zigarette, Zähne putzen, Hose an, nee, besser gleich das Ölzeug komplett, es schüttet draußen. Emsrevier meldet um 04:50 Uhr. drei Bft aus Süd, später West, Gefahr von schweren Gewitterböen mit neun Bft an der gesamten ostfriesischen Küste. Na Dankeschön, aber los.
Um zehn nach fünf stehen wir draußen und im Regen, der Diesel läuft, die Leinen fliegen los und ab. Genau das gleiche passiert bei unserem französischen Freund. Raus aus dem Hafen. Runde sechs Knoten durchs Wasser, so hatten wir es mit dem Franzosen abgesprochen, deutlich mehr über Grund. An der Fischerbalje dürfen wir dem ersten Grummeln in der Ferne lauschen. Die Ems runter und dann über das Riffgat, die Fisher immer leicht versetzt hinter uns. Es grummelt weiter, will nicht richtig hell werden. Die Leute da drüben haben es richtig gut in ihrem Steuerhaus, trocken und wahrscheinlich gemütlich warm.
Irgendwann bricht es dann richtig los, viel Blitz, viel Donner und zum Glück kaum Wind. Einer der Blitze, ich hab ihn nicht gesehen, weil ich nach hinten schaute, muss recht dicht bei uns runtergekommen sein. Jörg war, und ich glaube ihm, für eine Weile fast blind von diesem Lichtbogen.
Juist querab. Das Gewitter ist durch, der Regen bleibt
Ansonsten ist wenig zu berichten: Kaum Wind, ein Segelversuch scheitert nach ganz kurzer Zeit kläglich, der Franzose gibt nicht lange nach dem Riffgat den Hebel auf den Tisch und läuft mit gut sieben Knoten davon. Gegen 11:00 Uhr klingelt das Telefon. Herr Graf, der Mann für Probleme: Man nehme sich der Sache an, die Geschäftsleitung sei informiert und nehme die Angelegenheit sehr ernst, es seien inzwischen wohl einige Kunden betroffen, wir seien nicht die einzigen. Er ließe wieder von sich hören.
Mann, Mann, Mann, man fix, bald sind wir in der Ostsee.
Wir sehen wenig andere Yachten, auch der Verkehr in der Jade und der neuen Weser, beide müssen wir queren, ist mäßig. Die Sicht, trotz Dauerregen mit ganz wenigen Pausen – ordentlich. Und darüber hinaus helfen Radar und AIS. Unser Tempo ist passabel, die Ankunft in Cuxhaven prognostiziere ich für 10:00 Uhr abends.
Ab Ansteuerung der Elbe kommt doch noch Wind und frischt auf bis 6 Bft. Der Regen lässt nach. Wir sind so schnell, dass wir das auflaufende Wasser erst sehr spät mithaben. Um 21:35 Uhr liegen wir vor der Brücke zum Alten Hafen. Die öffnet für uns um exakt 22:00 Uhr. Fünf Minuten später sind wir fest am Steg und freuen uns über frisch gekochte Spaghetti Carbonara. Wim sei Dank. Morgen früh wird er uns leider schon verlassen – schade.
Ein Blick auf Marine-Traffic bringt noch eine echte Überraschung: Der Franzose mit seiner Fisher „Archimede“ ist nicht auf Norderney, auch nicht auf Helgoland. Er liegt im vorderen Yachthafen. Ich geh da nicht so gerne hin. Hier hinter der Brücke ist es viel gemütlicher und man ist deutlich näher an der Stadt. Wohl etwas teurer, aber die Sache ist es wert.
10.06.2017, Samstag
Um 11:00 Uhr heißt es Abschied nehmen. Wim geht von Bord. Nein, wir brauchen ihn nicht zum Zug zu bringen:
„Seht ihr mal zu, dass ihr loskommt. Und haltet mich auf dem Laufenden was die Karten angeht.“
Nun sind wir allein, Jörg und ich. Wir gehen um 11:30 Uhr durch die Brücke:
„Danke Cuxhaven Lock, und gute Wache noch.“
Auch unserem Segelversuch auf der Elbe ist kein Erfolg vergönnt. Nach kurzer Zeit wieder Nichtwind. Also unter Maschine nach Brunsbüttel. Iss auch in Ordnung. An Brunsbüttel um exakt 14:00 Uhr. Das weiße Licht auf der Schleuse blinkt. Das Tor steht offen. Wir haben noch ne halbe Meile. Hebel auf den Tisch. 7,5 Knoten, dann knapp acht, mehr geht nicht. Als wir das Schleusentor passieren, klingelt es schon, deutliches Zeichen dafür, dass das Tor gleich zufährt.
Jetzt muss nur noch die Fahrt aus dem Schiff, auch das gelingt, ein freundlicher Segelkollege nimmt unsere Leinen an und wir können an den elend niedrigen Pontons festmachen. Hier bewährt sich immer unsere schöne Seitenleiter, die, die inzwischen auch Bugleiter ist.
Wir liegen gut, die Fender schwimmen auf dem Wasser, nur so lässt sich der Rumpf in den Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals von den Schwimmpontons fernhalten, da stoppen die zufahrenden Tore. Und wer läuft da noch ein? Unser Franzose. Wir helfen beim Festmachen, bringen seine Fender auf die richtige Höhe.
Sie hätten sich gedacht, erzählen sie, wenn die von der Kohinoor das können, dann können wir auch gleich durchgehen bis Cuxhaven. Sie säßen ja warm und trocken. Nur die Elbe ab etwa Scharhörnriff sei eine Katastrophe gewesen. Keine Fahrt mehr zu machen. Mit knapp zwei Knoten seien sie gegen den Strom gelaufen und deshalb auch nur rund eine Stunde vor uns eingelaufen. Ihr Schiff aber sei wohl um einiges leichter geworden, schließlich hätten sie mehr als reichlich Diesel verbrannt.
Nach einer guten halben Stunde entlässt uns die Schleuse. Wir gehen nicht in den kleinen Hafen direkt hinter der Schleuse, wir laufen durch. Ziel Rendsburg, Diesel tanken und gemütlich essen gehen. Eigentlich schade. Ich liege gern in dem abends immer übervollen Hafen. Durchaus ordentliche Restaurants gibt es in fußläufiger Entfernung zum Hafen auch. Warnen allerdings müsste ich vor einem, man geht ein Stück bis dort, oder noch besser, man tut es nicht. Konkreter will ich hier nicht werden. Jeder möge seine eigenen Erfahrungen machen.
Gut sechs Knoten laufen wir bei 2.000 Motorumdrehungen; die „Archimede“ hat scheinbar ihr Wunschgewicht noch nicht erreicht. Sie gibt mit ihren 37 Fuß deutlich mehr Gas und wird damit für uns immer kleiner. Letztlich sind wir zweiter im Rennen, ohne es zu wollen. Ich fahre den Kanal ganz gern, die meisten Menschen schimpfen auf ihn. Für mich ist das ne ruhige, entspannte Sache. Na ja, jedem das Seine.
Läuft so hin mit uns. Mal ne Kurve. Mal ne kleine Biegung. Fähren, Brücken hier und da, hin und wieder ein großer Pott, der uns entgegenkommt. So tröpfelt das dahin, bis beinahe zum Gieselaukanal.
Der Motor dreht hoch, läuft wieder normal, dreht wieder hoch, so was ähnliches hatten wir doch vor etlichen Jahren schon mal, war die Einspritzpumpe damals, passierte in ganz unterschiedlichen Abständen. Heute ist es anders. Nach dem dritten Hochdrehen ist die Maschine aus. Einfach aus. Nicht gut hier auf dem Kanal. Jörg rollt die Genua aus. Es ist kaum Wind, aber das Schiff bleibt eben steuerbar.
Und Glück haben wir, trotz Pech: Der Segler, den wir vor kurzem überholt haben, kommt nach nur wenigen Minuten auf und deutet meinen hoch gehaltenen Tampen richtig.
Ob er helfen könne?
Ja, das sei mal eine gute Idee. Bis in den Gieselaukanal hinein schleppen wäre riesig, eine große Hilfe. Herzliches Dankeschön dafür!
Jo, kein Problem, er nähme uns längsseits, sagt der nette Kollege mit etwa gleich großem Schiff.
Wir haben die Fender schon hängen und geben unsere Leinen rüber, unser Retter bringt auch noch Fender aus. Dabei, dumm gelaufen, geht einer über Bord. Also die Schiffe wieder trennen damit er ungehindert auf Fenderjagd gehen kann. Schnell ist er wieder eingefangen, wir machen zum zweiten Mal bei ihm fest und dann geht es gemeinsam zum Steg vor der Schleuse. Das Absetzmanöver funktioniert bestens, butter-weich.
Auf einen Kaffee laden wir noch ein, aber, das geht leider nicht, die beiden haben noch einen Termin in Rendsburg. Sie müssen dringend weiter. Schade. So bleibt nur ein herzliches Dankeschön und gute Reise. Liebe Leute. So soll es sein.
Wir machen uns den Kaffee, sitzen in der Plicht und überlegen: Die Maschine ist in Ordnung, lief so sauber und kam auch immer wieder gut.
Jo! Kann nur der Diesel sein, oder wahrscheinlicher noch: kein Diesel. Aber beide Uhren zeigen voll.
Was, voll, nach weit über 20 Stunden motoren? Ich Idiot. Hab mich schon ein paar mal gewundert, dass der Zeiger gar nicht fällt, weiter drüber nachgedacht hab ich nicht. Die Diagnose steht.
Das ist dann ja nur ne Sache von ein paar Minuten. Also, dann wollen wir mal noch Eine rauchen. Danach gehen wir die Sache an.
Und tatsächlich: Ein kräftiger Tritt auf den Tank und schon fällt die Nadel von der rechten in die linke Ecke. Toll, du bester Ingenieur, vielleicht doch nicht weltweit. Der Rest ist fast Routine. Dieselleitungen an den Einspritzdüsen lösen, ordentlich orgeln und bald schon quellen kleine Bläschen aus den Leitungen. Die Bläschen werden weniger. Beim vierten Versuch kommt die Maschine dann und läuft wie ein Uhrwerk. So wie fast immer. An Diesel übrigens ist kein Mangel. Wir haben einen zweiten Tank. Der ist randvoll.
Es ist jetzt schon später. Wir bleiben liegen am Kanal. Es ist schön ruhig hier. Hohe alte Bäume und hin und wieder schnurrt leise der „Power Block“. Nur drei weitere Boote liegen längsseits an den beiden Stegen. Eine echte Idylle. Uns gefällt es.
11.06.2017, Sonntag
Ich lasse Jörg ausschlafen und starte um kurz nach neun. Wir haben noch ’ne Weile gesessen gestern Abend. Zu Essen gab es Schnitzel, Bratkartoffeln und Erbsen aus der Dose. War ordentlich.
Um 12:00 Uhr mittags liegen wir an der Tankstelle des RVR (Regatta-Verein-Rendsburg) im Obereider See. Die ist zu. Seit 11:00 Uhr. Wohl etwas zu spät aufgestanden, der Steuermann. Egal. Wir wollen ja eh bleiben. Einige Stunden später tanken wir bei der überaus reizenden Hafenmeisterin satte 120 Liter Diesel und tauschen für 23 Euro eine Drei-Kilo-Campinggasflasche. Das Liegen kostet 16 Euro ohne Strom. Den brauchen wir auch nicht. Den machen wir selbst und die anderen hören es nicht, riechen es nicht und sehen es auch nicht, weil es nicht raucht.
Beim Verholen an unseren Liegeplatz sehen wir nur wenige Schiffe neben uns die „Archimede“ aus Frankreich wieder; als wir zum Essen gehen, sitzt die Besatzung auf der Restaurantterrasse und lädt uns an ihren Tisch ein.
Sowohl Jörg als auch mir fällt die zu führende Unterhaltung schwer. Nicht nur, dass unser Englisch in den letzten Tagen nicht besser geworden ist, der amerikanische Slang von Frau Archimede ist für uns beide nahezu unverständlich, zudem bittet sie uns wegen einer schrecklichen Allergie, doch bitte nicht zu rauchen.
Wir sitzen draußen! Nun gut.
Nach einer runden Stunde verabschieden wir uns freundlich und wünschen noch eine gute Zeit. Mein Essen war nicht so dolle. Ich hatte Spargel. Der war schlecht geschält. Die Hollandaise hat ihren Namen weiß Gott nicht verdient, Butter hat sie auch aus der Ferne nicht gesehen und frisch geschlagen war sie schon gar nicht. Normal ist das Essen im RVR-Restaurant ordentlich. Normal bin ich zufrieden. Heute nicht.
Wir schauen Tatort, „Power Block“ surrt von Zeit zu Zeit.
12.06.2017, Montag
11:00 Uhr. 22 Knoten Wind auf der Seite. Das Ablegemanöver gelingt wider Erwarten perfekt. Ne lange Leine richtig ausgebracht kann Wunder wirken.
Noch ein Drittel der Kanalstrecke ist zu bewältigen. Ich finde, das ist der schönere Teil des Nord-Ostsee-Kanals. Hügel, Felder und bewaldete Stücke lösen sich ab. Zeitweise ist der Kanal schmal auf diesem Teilstück. Große Überholer laufen dichter an uns vorbei. Wenn sie herankommen, die großen Pötte, nimmt die Fahrt des eigenen Schiffes zu, wenn sie dann vorbeigehen, sinkt das eigene Tempo drastisch.
Die Großen dürfen auf dem NOK acht Knoten laufen, die Yachties sind normal mit fünf bis gut sechs Knoten unterwegs, acht Knoten schaffen nur die wenigsten. Darum hat man auf der Kanalstrecke von ziemlich genau 100 Kilometern mit nicht vielen, aber doch einigen Überholern zu rechnen.
Schleuse in Holtenau in Sicht. Es ist 13:50 Uhr. Weißes Blinklicht. Wir glauben es nicht, wieder steht das Tor offen. Was für ein Glück. Rein in die Schleuse und vorsichtig an die Pontons. Kaum liegen wir, kommt Herr Archimede angehastet.
Wie das denn möglich sei? Sie hätten ziemlich genau drei Stunden vor der Schleuse Kreise gezogen. Wie wir das machten? Ohne jede Häme, wohl aber mit einem kleinen Lächeln antworten wir:
„Timing, gutes Timing. Gilt auf der Nordsee und genauso auf dem NOK.“
Der arme Herr Archimede ist sichtlich erschüttert, waren die beiden doch extra früh aufgebrochen aus Rendsburg.
Schon im vergangenen Jahr übrigens war die Passage des NOK für Yachten kostenfrei. Auch in diesem Jahr ist die Fahrt wieder gratis. Bis dahin zahlte man als Yachtie runde zwanzig Euro für den Weg von Brunsbüttel nach Kiel und umgekehrt noch mal das gleiche. Nicht zuviel Geld, wie ich finde. Die Euros waren in Kiel zu entrichten. Und das ging so: Ein Besatzungsmitglied hatte das Schiff zu verlassen und hangelte sich über die manchmal sehr glitschigen Pontons zur nächstgelegenen Rettungsleiter. Nachdem er diese bewältigt hatte, begab er sich zum Kiosk, je nachdem, wo man lag in der Schleuse, musste noch ein geschlossenes Schleusentor überquert werden. Für die geleistete Zahlung gab es selbstverständlich eine ordentliche Quittung.
Nun blieb im Laufe der Jahre wohl manch Zahlungswilliger auf der Strecke, scheiterte entweder an den nicht immer trittsicheren Pontons, oder er stürzte beim Besteigen der senkrecht angebrachten Leitern. Kein so großes Problem, wenn der Obolus schon entrichtet war, ein herber Verlust für die Kanalbetreiber im anderen Fall.
Aber Spaß beiseite. Man setzte ob dieser Vorfälle die Zahlpflicht aus. Von wem veranlasst, weiß ich nicht. Vielleicht war die Berufsgenossenschaft die treibende Kraft? Die Gewerbeaufsicht? Oder klagten zu viele der Verunfallten Schmerzensgeld, Heilkosten und sogar Verdienstausfall ein?
Seitdem denkt man von Seiten der Kanalbetreiber, wie offiziell verlautbart wird, über ein neues „Bezahlsystem“ nach. Seit runden zwei Jahren schon wird nachgedacht. Verschiedenste Varianten werden intensiv diskutiert, so wie man hört. Diejenige, die mein Freund Jörg vorschlägt, ist offensichtlich nicht dabei. Sie ist auch zu einfach und wäre sofort umsetzbar, denke ich:
„Warum schickt man nicht einen Mann, eine Frau, rum und kassiert das Geld direkt in der Schleuse von den Bootsbesatzungen? Geht schnell und ist nicht teuer.“
Wir warten mal ab und schauen was passiert. Bleibt den Sportbootfahrern zu wünschen, dass noch recht lange nachgedacht wird.
Um 14:50 Uhr erreichen wir Möltenort, legen bei inzwischen deutlich mehr als 22 Knoten Seitenwind kein lehrbuchartiges Anlegemanöver hin, sind dann aber fest und sicher in unserer Box vertäut. Ich melde Frau Cornelia unsere gesunde Ankunft.
Morgen am Nachmittag sei sie da, sagt sie.
Vom Kartenverlag ist eine Mail gekommen. Das war schon am Vormittag. Man habe intensiven Kontakt mit Fugawi, dem Entwickler des Navigationsprogramms, gehabt. Dort wolle man sich der Sache annehmen. Wir würden von dort direkt Nachricht bekommen, wie man uns helfen wolle.
Und tatsächlich. Eine zweite Mail ist da. Aus Kanada. Wir sollten doch bitte unsere Probleme noch einmal ausführlich schildern. Ich mache einen elektrischen Brief fertig und hänge Dateien von nicht zu öffnenden Karten an. Scheinbar tut sich doch was.
13.06.2017, Dienstag
Rund 16:00 Uhr trifft Frau Cornelia ein. Wir tragen überraschend wenig Gepäck zum Schiff und überlegen, wie es weitergeht. Eigentlich will, soll Jörg noch einige Tage bei uns bleiben, da wollen wir zu dritt fahren und ihn danach wieder in Möltenort abgeben. Das Vorhaben zerschlägt sich, als wir vom Hafenmeister hören, dass in wenigen Tagen die Kieler Woche beginnt und der Hafen mehr als vollständig ausgebucht sei.
Die Kieler Woche fände, so werden wir belehrt, schon seit vielen, vielen Jahren statt, ob wir den Termin denn gar nicht auf dem Schirm hätten.
Hatten wir nicht.
Am Abend, wir waren lecker essen, kümmere ich mich noch ein wenig um meinen „Power Block“. Die Sicherung für die Luftklappenantriebe verabschiedet sich immer wieder, das kann nicht richtig sein. Ich messe das System durch und stelle fest, sehr überrascht, dass einer der Getriebemotoren nicht 0,7 Ampere aufnimmt, sondern ziemlich genau drei. Zwar immer nur für einen kurzen Moment, für die 1-Ampere-Sicherung ist das deutlich zu viel. Ich hatte das anders geplant. Die Sicherung wird getauscht gegen eine mit 3,15 Ampere. Muss auch gehen.
14.06.2017, Mittwoch
Also wird Jörg uns heute nach einem schön gemütlichen Frühstück verlassen. Um 10:50 Uhr wirft er unsere Leinen los, wir dampfen langsam aus dem Hafen, er macht noch ein paar Fotos und verschwindet aus unserem Gesichtsfeld. Unser Kurs für heute ist auf Kappeln abgesetzt, Kappeln an der Schlei. Mit einem schönen Wind, den wir eben noch anliegen können, ziehen wir gemächlich dahin. Etwa die halbe Strecke lang geht das gut, dann ist der Wind weg, wir starten den Perkins. So schaffen wir den Rest der insgesamt 28 Meilen.
Während des Frühstücks ist wieder der Lüfterzahnriehmen von „Power Block“ gerissen. Das ist hier noch nachzutragen. Hat meine Laune aber nicht getrübt. Es muss einen anderen Grund geben für diese Ausfälle, als von mir vor wenigen Tagen angenommen. Gut, sage ich mir, in nächster Zeit will ich mich der Sache mal annehmen. Nicht jetzt, nicht heute. Heute fahren wir gemütlich nach Kappeln.
Kurz vor der Schleimündung ziehen zwei größere Motoryachten backbord an uns vorbei. Mitten durchs Sperrgebiet. Für uns sichtbare Konsequenzen hat das nicht. Beide senden allerdings ein AIS-Signal aus. Möglicherweise wartet Post auf sie, wenn sie wieder nach Haus kommen, denn in der Nähe liegt ein militärisches Überwachungsfahrzeug. Diese Post, wenn sie dann kommt, wäre mit der nachdrücklichen Bitte verbunden, sich doch mit einem gewissen Betrag an den Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen.
Restaurants am Hafen in Kappeln
In Kappeln, wir erreichen den schönen Ort um kurz vor vier, wandert mein Blick auf die Heckpfähle der Liegeplätze des Gemeindehafens kurz vor der Brücke über die Schlei. Um sie herum kräuselt sich heftig das Wasser und zeigt einen deutlichen Strom in Richtung Schleimündung, also nach Osten, an.
Unser Liegeplatz vor der Brücke in Kappeln
Das mag ja heiter werden, denke ich so bei mir selbst und tatsächlich, der erste Anlaufversuch schlägt völlig fehl. Ich werde um zwei Boxen vertrieben, die, vor der ich mich wiederfinde, ist besetzt. Ich erspare dem dort Liegenden den Einlaufversuch. Beim dritten Anlauf wird es was. Schräg gegen den Strom anlaufen, dann das Heck rum, und schon sind beide Pfähle geküsst. Hat also nicht so gut hingehauen. Dafür aber sind beide Leinen auf den Pfählen und der freundliche Nachbar nimmt unsere Vorleinen – wir sind fest. Mehrfach im Verlauf des weiteren Nachmittags dürfen wir ähnlichen Schauspielen optisch beiwohnen. Mann, watten Strom.
Wer hier erstmal liegt, so kurz vor der Brücke, liegt quasi mitten in der Stadt. Wenige Schritte vom Boot entfernt kann man zwischen verschiedensten Küchen wählen, alle Gaststätten verfügen über großzügige Terrassen, der Weg ins Zentrum ist in weniger als fünf Minuten zu bewältigen. Dort findet der erschöpfte Seemann weitere Restaurants, Kneipen und Geschäfte jeglicher Couleur. Für Frau Cornelia erstehen wir eine äußerst kleidsame Bordhose. Das Städtchen hat einen angenehmen Charme. Ein Gemüsehändler bietet Spargel feil. Wir gönnen uns ein Kilo und freuen uns auf den Abend. Es wird der letzte Spargel sein in diesem Jahr.
15.06.2017, Donnerstag
Hafentag. Stadtspaziergang. Festmachereinkaufstag. Und Eis essen. Das Liegen in diesem häufig strömenden Gewässer kostet 18 Euro pro Tag und ist damit bezahlbar.
Am späten Nachmittag machen Frau Cornelia und ich uns über den „Power Block“ her. Frau Cornelia hat die Werkzeugassistenz, ich knie schraubend in der Tamilenkammer. Nichts Aufregendes mehr für mich. Beim Vorgänger habe ich mich in den letzten Jahren viele, viele Stunden aufgehalten. Immer kniend in der Tamilenkammer, nein Backskiste natürlich.
Im Vorfeld habe ich nachgedacht, gestern Abend und Nacht: Wie kommt es zu den Zahnriemenrissen? Die Leistungsaufnahme des damit angetriebenen Lüfters kann es nicht sein. Trotzdem ist er nun schon mehrfach gerissen. Der Riemen ist deutlich schmaler als der für den Generator. Der allerdings muss auch viel mehr Leistung übertragen. Beide Riemen habe ich berechnet. Sie sind ausreichend dimensioniert. Soweit, so gut und trotzdem: Der Riemen ist zu schwach. Möglicherweise ist er überfordert wenn „Power Block“ abschaltet und der Motor kurz rückdreht. Vielleicht sind die dann auftretenden Kräfte zu groß. Testweise müsste man einen Flachriemen einsetzen, der hätte in einem solchen Fall Schlupf, im Gegensatz zum Zahnriemen. Die Belastung wäre deutlich geringer.
Wie aber realisieren zum Test? Die Idee: Ich dreh den Zahnriemen einfach um, lasse ihn quasi auf links laufen, auf seinem Rücken, dann hat er Schlupf, wenn’s sein muss.
Müsste gehen, die Zähne der Zahnriemenscheiben sind nicht scharf, das muss klappen, wenigstens zum Test. Interessant zu wissen, ob er, so unorthodox eingebaut, länger durchhält als die Vorgänger.
Wir schrauben unter scharfer und interessierter Beobachtung durch einige Nebenlieger nur anderthalb Stunden, dann folgt der Testlauf mit noch offenem Schallschutzgehäuse. Wer in unserer Umgebung noch nicht mitbekommen hat, dass hier gearbeitet wird, der weiß es jetzt. Es läuft, der Riemen läuft rund. Könnte also gehen zum Test. Gehäuse zu, noch ein Testlauf, dann ist es gut für heute. Wir haben super und effizient gearbeitet.
Nebenbei hab ich festgestellt, dass eine der drei Lüftungsklappen nicht sauber in die Endpositionen fährt. Ich hab’s gleich mitgerichtet. Ist doch Ehrensache.
Was noch geschah in den vergangenen Tagen: Einige Mails flogen hin und her. Die Sache mit den Karten kommt für meine Begriffe nicht richtig in Schwung. Bei den Kanadiern ist augenscheinlich niemand wirklich zuständig, derjenige, der zuständig sein könnte, ist in Urlaub. Einer meiner Briefe richtet sich an den Kartenverlag hier in Deutschland und ist nicht mehr ausschließlich höflich. Man möge doch bitte endlich dafür sorgen, dass es voran ginge. Andernfalls sei ich an ihrem Kartenwerk nicht mehr interessiert.
Plötzlich kommt neue Nachricht aus Kanada. Es meldet sich ein Sheldon, er sei Mitarbeiter bei Fugawi und würde sich die Probleme gern auf meinem Rechner ansehen. Ob ich etwas gegen eine „Teamviewersitzung“ hätte. Nein, natürlich nicht. Eine solche Sitzung, die meisten werden es wissen, macht es möglich, von außen auf einen fremden Rechner zuzugreifen. Ich werde den Zugriff auf meinen Testlaptop erlauben. Auf dem habe ich ja auch die Versuche gemacht. Wir klären die Details und verabreden uns für morgen, also Freitag um 12:00 Uhr kanadischer Zeit. Bei uns ist es dann 18:00 Uhr, das passt gut, bis morgen also.
16.06.2017, Freitag
Heftige Windvorhersage: sechs Bft aus West, Wetter durchwachsen. In die Richtung wollen wir, nach Schleswig, ans Ende der Schlei. In Lindaunis, auf etwa halber Strecke, werden wir einen Stopp einlegen, Frau Cornelia möchte die Praxis des Landarztes besuchen, die aus der gleichnamigen Fernsehserie vor etlichen Jahren, heute sei dort ein Café, berichtet sie.
Wir sparen uns den Besuch, es weht wirklich heftig und die Gassen zwischen den Boxen des kleinen Hafens sind so eng, dass wir ohne Bugstrahlruder keine reale Chance haben, dort ohne Schaden festzumachen.
„Ich komm’ davon nicht um“, sagt Frau Cornelia, „vielleicht ein andermal.“
Weiter hoch die Schlei, es ist wunderschön hier, die Menschen hier haben echtes Glück. Das zeigt sich auch an den aufgerufenen Grundstücks- und Häuserpreisen deutlich, die liegen in den allermeisten Fällen weit jenseits der Neidgrenze. Viele idyllische und geschützte Ankerplätze sehen wir. Heute, bei dem Wetter ist allerdings nichts los. Bei Missunde ist der Meeresarm ganz schmal, um sich dann wieder weit zu öffnen. Kurze Zeit später liegen wir im Stadthafen von Schleswig. Das Anlegen ist wieder wenig rekordverdächtig, schieben wir es auf das Wetter und die in diesem Jahr noch fehlende Routine. Frau Cornelia und der Steuermann sind erst zwei Anlegemanöver lang gemeinsam unterwegs.
Es ist halb fünf, wir haben runde 18 Meilen gemacht und es ist noch genügend Zeit bis zum Date mit Sheldon aus Kanada. Für den Liegeplatz in Schleswig muss man 22 Euro ausgeben, dafür wird neben vielem Anderen direkt am Hafen ein vorzügliches Eis geboten. Strom ist inkludiert, „Power Block“ brauchen wir nicht zu bemühen. Der Wechselrichter hat immer noch die gleichen Macken, nach dem Einschalten kackt er ab – immer, man weiß nur nie, wann. Beim zweiten, dritten oder vierten Mal läuft er dann stabil und tut klaglos seine Arbeit. Auch über Tage, wenn man will.
Gestern hat mich das alle sorgsam erstellten Routen aus dem vergangenen Jahr gekostet und die von diesem Jahr gleich mit. Ich hatte das Fugawi zu früh hochgefahren. Der Schiffsrechner stürzte beim „Auf-Störung-Gehen“ des Wechselrichters ab und meine Routendatei war einfach futsch, zerschossen. Ich hab sie später wiedergefunden, mit meinen beschränkten Fähigkeiten konnte ich sie aber nicht wieder herstellen.
Nun war ich sauer und hab das Ding beim Lieferanten reklamiert, per elektrischer Mail. Ich beschrieb den auftretenden Fehler detailliert und wies auf meine spezielle Situation hin: Bin mit dem Schiff unterwegs, das Gerät ist für mich unverzichtbar wichtig, wir werden in wenigen Tagen im Ausland sein. Ich schrieb eben Dinge, die verdeutlichen sollten, dass mein Fall a) sehr speziell ist und b) in der Bearbeitung keinen Aufschub duldet. Außerdem bat ich freundlich um Tipps, wie ich das Ding mit Bordmitteln zu zuverlässigen Starts bewegen könne. Vielleicht, denke ich während ich so schreibe bei mir selbst, war der Apparat dann doch zu billig.
Nach kurzer Zeit schon kam die Rückmail vom Kundenberater Soundso:
Oh, es täte ihnen schrecklich leid – aber kein Problem, ich solle den Konverter bitte zurückschicken, natürlich auf ihre Kosten. Das Gerät würde dann geprüft und gegebenenfalls zum Hersteller zurückgegeben. Dies Procedere bedürfe rund zweier Wochen, dann aber könne ich, soweit das Gerät tatsächlich schadhaft sei, sofort mit Ersatz rechnen.
Damit war mir nicht wirklich geholfen. Ein Formbrief. Nichts weiter. Kein Eingehen auf meine dramatische Notlage. So geht das nicht! Eine weitere Mail an Herrn Soundso. Antwort von ihm:
Ist die Batteriespannung in Ordnung, sind alle Sicherungen in Ordnung? Und irgendwelche weiteren Lächerlichkeiten fragt er bei mir ab.
Ich bin doch nicht blöd! Beantworte ihm seine Fragen. Herr Soundso: Tja, dann wisse man auch nicht. Einzige Lösung: Einschicken!
Ich spare mir weiteres Schreiben und sage mir: Ok, irgendwie werd’ ich das Ding schon am Laufen halten. Zurückschicken werde ich es, wenn wir wieder Zuhause sind, im September oder so. Eine Bewertung ihres Produktes hab ich bislang noch nicht abgegeben, jetzt gleich aber. Rache ist süß.
Es ist kurz vor sechs. Ich sende Sheldon das Passwort für unsere Sitzung. Nach wenigen Minuten ist er auf meinem Laptop. Ich sehe wie er sich umschaut, ja, das hab’ ich auch schon versucht, das auch. Rumps, die Verbindung ist weg. Neuer Versuch. Neues Passwort. Weiter geht es, bis die Leitung wieder zusammenbricht. Bei mir kommt Stress auf. Warum ist das Internet nicht stabil? Da hast du extra diesen tollen „GigaCube“ und dann das.
Beim dritten Versuch, ich verbinde den Laptop via Kabel mit dem „GigaCube“, läuft es stabil. Sheldon, das merke ich, arbeitet hart. Gibt sich große Mühe, spielt sogar ein neues Fugawi auf, eine andere Version. Kein Erfolg. Er bekommt die vom Server geladenen Karten nicht in Fugawi hinein. Er fragt nach den Karten auf CD. Die seien im Laufwerk, antworte ich. Er ruft sie auf und siehe da: Sie werden problemlos vom Fugawi akzeptiert. Nun wisse er nicht weiter, teilt Sheldon mit. Er werde mit dem Verlag in Deutschland sprechen und sich wieder melden, in der nächsten Woche.
Ich habe Zeit am Abend, die nutze ich, um wieder einmal nachzudenken: Die CD-Karten gehen, die heruntergeladenen nicht, das Format ist eindeutig gleich, wo ist was anders? Was unterscheidet die einen von den anderen. Und dann! Runtergeladen hast du sie mit dem Schiffsrechner, dann auf den Laptop kopiert. Vielleicht, vielleicht wollen sie das nicht. Vielleicht merken sie, wenn sie kopiert werden. Kopierschutz? Genauso wird es sein. Ich Idiot! Mann, Mann, Mann, da hätte ich ja mal eher drauf kommen können. Das hätten aber auch die schlauen Leute vom Troubleshootingdienst mal abfragen können. Versuchen wir mal.
Und tatsächlich: Auf dem Schiffsrechner funzt es. Die Karten werden anstandslos eingelesen. Und der Steuermann ist glücklich. Jetzt ist alles gut. Es gibt noch zwei Mails: Eine an den NX-Verlag und dort an den einsatzfreudigen Herrn Graf und eine an Sheldon von Fugawi. Inhalt: Problem gelöst. War dann wohl, zumindest zum Teil, mein Verschulden. Wäre ich schlauer, wär das nicht passiert. Danke für die Hilfe (Der Satz geht lediglich an Sheldon in Kanada). Und vielleicht sollte man den Kunden mitteilen, dass ein Kopieren der Karten unbedingt zu unterbleiben hätte, so schließe ich mein Schreiben.
Es gibt genau eine Antwort, die kommt noch am gleichen Abend von Sheldon: Sorry, ja natürlich, da hätte er auch drauf kommen sollen.
Von Herrn Graf höre ich nichts. Von mir wird er auch nicht mehr hören. Schließlich gibt es noch weitere Kartenverlage. Es könnte ja sein, dass die mehr von Service verstehen.
Am späteren Abend treffen wir Martin Schmidt und seine Frau. Wir waren, ohne es zu merken, am Nachmittag eine Weile hinter seinem wunderschönen Schiff hergelaufen. Martin Schmidt ist Bootsbauer und hatte bis vor kurzem einen Betrieb mit bestem Ruf in Papenburg. Wir werden für morgen zum Tee bei ihnen an Bord eingeladen.
17/18.06.2017, Hafentage
Wir erkunden die Stadt, vor Jahren wollten wir schon mal hierhin, unser Besuch scheiterte an einer defekten Lindaunisbrücke. Gestern funktionierte sie zum Glück.
Ein schönes Städtchen, wir erlaufen beeindruckt die Altstadt mit Marktplatz, auf dem zwischen 1548 und 1551 rund vierzig Frauen hingerichtet wurden, man hatte sie aus meiner Sicht zu Unrecht der Hexerei für schuldig befunden, sehen uns, wenn auch nur von außen, den St.-Petri-Dom an, außerdem besuchen wir verschiedene Schuhgeschäfte, ein besonderes Erlebnis für den Steuermann. Besuche dieser Art erfordern ein hohes Maß Gelassenheit von ihm.
Marktplatz in Schleswig
An Schuhgeschäften, für manchen mag das wichtig sein, besteht kein Mangel in Schleswig. Es sollen Flip-Flops her – für Frau Cornelia. Darum die Besuche. Ich habe Schuhe und wenn ich mal neue brauche, kommt als Lieferant nur Heini Geile in Melle in Frage. Wir werden fündig, die Verkäuferin ist freundlich, reagiert allerdings mit Unverständnis auf meinen Einwurf, die Schuhe seien vielleicht ein klein wenig zu nuttig. Ich habe keine Chance, auch mein Einwand, der menschliche Fuß sei unter Umständen nicht dafür gemacht, ständig einen dicken Riemen zwischen zwei Zehen zu haben, wird nicht akzeptiert.
Nachmittags sind wir bei Schmidts zum Tee, so richtig ostfriesisch mit Kluntje und Sahnehäubchen. Zwei schöne Stunden, wir klönen angenehm
Der nächste Tag, ein Sonntag, wird beschwerlicher für mich, den Steuermann. Frau Cornelia hat ein umfangreiches Radtourprogramm ausgearbeitet. Der Holm soll besucht werden. Hier findet der interessierte Tourist eine Ansammlung etlicher kleiner Fischerhäuschen, die Siedlung entstand um das Jahr 1000 herum. Danach soll es zum Schloss Gottorf gehen. Es ist durchaus sehenswert und blickt auf eine rund achthundertjährige Geschichte zurück. Unter Anderem beherbergt es heute das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum. Hauptprogrammpunkt am Schluss der Tour soll der Besuch der dänischen Wikingersiedlung Haitabu sein. Die liegt etwas außerhalb, sollte für uns trotzdem problemlos erreichbar sein, so formuliert Frau Cornelia. Also die Fahrräder raus aus dem Vorschiff. Vier platte Reifen mit Luft füllen. Das ist schnell erledigt, haben wir doch eine eigene Druckluftversorgung an Bord. Die Räder runter vom Schiff und auseinanderklappen. Nach wenigen Minuten ist alles erledigt. Wir sind reisebereit. Der beschwerliche Teil des Tagwerks folgt jetzt.
Straßenzug auf dem Holm
Auf zum Holm, nicht weit fahren – ganz in Hafennähe. Sehenswert, dies kleine Dörfchen mit Kapelle und Friedhof in der Mitte. Wir steigen ab, Radeln ist auf dem Kopfsteinpflaster der alten Siedlung ohnehin beschwerlich. Ein pittoresker kleiner Ort ist das, farbenfroh und voller Rosen, ein schönes Bild.
Kirche mit Friedhof hinter Bäumen auf dem Holm
Nach einer halben Stunde ist Weiterreise. Pilotiert werden wir von Frau Cornelias schnurlosem Telefon. So brauchen wir keine Karte und ein Mindestmaß an Orientierungsvermögen ist auch nicht mehr notwendig.
Typischer Rosenschmuck
Wir erreichen Station zwei, das Schloss, stellen die Räder ab und laufen durch die weiten Anlagen, teils direkt am Wasser liegend. Einige Kunst auf den Außenflächen verwöhnt das Auge des Besuchers; die Barockgärten, ich hätte sie tatsächlich gern gesehen, sparen wir aus. Stattdessen geht es, ich vergaß es weiter oben zu erwähnen, zu einer privaten Gartenausstellung. Wieder hilft das Telefon. Wir finden das gestern von Frau Schmidt empfohlene Gartenparadies. Ich hatte den Tipp gar nicht mitbekommen.
Bei mir Erstaunen. Hier lädt jemand ein, um seinen ganz privaten Garten einem möglichst großen Publikum zugänglich zu machen. Mir ist das fremd. Der Garten selbst: Wenn man mich fragte, nicht sonderlich sehenswert.
Frau Cornelia doziert: Das sei heute so, das sei eine republikübergreifende Aktion, an bestimmten Tagen im Jahr könne man landesweit die Gärten anderer Menschen ansehen und von der, in sicherlich einigen Fällen vorhandenen, Kreativität der Gartenbesitzer profitieren.
Meine Reaktion:
„Krass!“
Nach Haitabu sei es nun nicht mehr weit. Wir seien schon auf halbem Wege.
Na, dann mal weiter, nur weg hier. So schnell wie möglich.
Wir radeln los, Frau Cornelia vorneweg. Heute ist es warm. Es geht bergauf. Mir fehlt der erste Gang. Nur zwei und drei funktionieren. Bergauf ist das nicht förderlich, zudem bin ich kein geübter Radler.
Es wird immer ländlicher. Wir queren sogar die A7. Komisch, Haitabu liegt doch direkt gegenüber unseres Liegeplatzes. Auf der anderen Seite des Wassers, in dem wir liegen. So weit kann das doch unmöglich sein, Luftlinie vielleicht 500 Meter, maximal 600. Ich murre nicht, aber mir schwinden die Kräfte. Gefühlte 15 Kilometer sind wir jetzt unterwegs.
Blick auf das entfernte Haitabu vom Wall aus. (siehe Bildmitte, am besten unter Zuhilfenahme einer kräftigen Lupe)
„Sag mal Spatzerl, macht dein Telefon wohl alles richtig? Kann es sein, das wir uns verfahren haben?“, frage ich irgendwann mit allerletztem Atem.
„Auf keinen Fall, hier schau doch. Oder vielleicht? Komisch, die Entfernung zum Ziel wird immer größer. Ja, jetzt weiß ich auch nicht.“
Frau Cornelia fragt einen Einheimischen mit Hund, der erweist sich tatsächlich als höchst ortskundig.
Ja ja, so könne man auch fahren. Er aber würde empfehlen, jetzt zurück, dann links, dann so und dann, und so weiter und so fort.
Wir erreichen unser Ziel, meiner Entfernungsrechnung nach..., nach 25 Klappradkilometern und besteigen eine historische Wallanlage, bevor wir uns in Richtung Dorf auf den Weg machen. Dort angekommen ist es vier Uhr, um fünf schließt das Freilichtmuseum.
Dann brauchten wir da nicht mehr rein, das lohne nicht, beschließt Frau Cornelia. Das Eintrittsgeld könne gespart werden. Außerdem: Der Weg sei das Ziel.
Mir soll’s recht sein. Gut, dass wir die Dächer der historischen Häuser schon vom Wall aus sehen konnten. So haben wir einen Eindruck, zumindest von oben. Zurück geht es deutlich schneller. Wir verzichten auf die Führerschaft des Telefons und fahren nach Gefühl. Nach wenigen hundert Metern queren wir eine breite Einfallsstraße in Haddeby und stoßen auf ein Ausflugslokal. Und direkt nebenan der Fähranleger für die Personenfähre, die uns gleich zu unserem Liegeplatz zurückbringen wird. Wir kehren ein in dem Lokal und frischen die verbrauchten Kalorien auf.
Unsere Fähre zurück nach Schleswig
Ich wusste doch, dass der Weg so lang nicht zu sein braucht.
Zu Frau Cornelia sage ich:
„War dann doch ein schöner Ausflug. Und dass ich in meinem Alter noch in der Lage bin, eine Radtour von fast sechzig Kilometern zu bewältigen, das hat schon was, oder?“
Sie zeigt sich erstaunt:
„Sechzig Kilometer? Mehr als zehn, vielleicht zwölf werden es wohl kaum gewesen sein.“